Süddeutsche Zeitung

Gefahr im Wohnzimmer:Muss Ikea für umfallende Möbel haften?

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Von Wolfgang Janisch

Es war, wieder einmal, der traurige Beleg dafür, dass die größten Risiken nicht etwa durch Terroranschläge oder Flugzeugabstürze drohen, sondern in den eigenen vier Wänden. Vergangenes Jahr sind zwei Kleinkinder aus Pennsylvania und dem Bundesstaat Washington durch umfallende Kommoden der Malm-Serie von Ikea zu Tode gekommen. Der Möbelkonzern hat deshalb im Verbund mit der US-Verbraucherschutzbehörde CPSC einen dringlichen Aufruf gestartet, solche Möbel an der Wand zu befestigen. "Anchor it!", appelliert CPSC, denn solche Unfälle seien beileibe nicht singulär: Alle zwei Wochen sterbe ein Kind durch kippende Schränke oder Flachbildschirme.

In solchen Fällen stellt sich, nicht nur im Land der unbegrenzten Schadenersatzklagen, die Frage: Kann der Hersteller dafür haftbar gemacht werden? Natürlich hatte Ikea - jeder Kunde kennt das - den Möbeln ein Montageset beigefügt, verbunden mit der Aufforderung, die Kommoden an die Wand zu dübeln. Man hätte es also wissen können. Wenn man die Gebrauchsanleitung gelesen hätte.

Der Hinweis auf Gefahren eines Produkts ist nicht immer ausreichend

Allerdings sind nach deutschem und europäischem Produkthaftungsrecht die Anforderungen an solche Warnhinweise streng. Dass irgendwo im Kleingedruckten vor den Gefahren eines Produkts gewarnt wird, ist nicht unbedingt ausreichend, das hat der Bundesgerichtshof in den Neunzigerjahren im spektakulären Streit um gesüßten Kindertee entschieden, der bei dauernuckelnden Kindern grauenvolle Kariesschäden verursacht hatte. Zwar war auf der Packung gewarnt worden, das Fläschchen als "Beruhigungsschnuller" einzusetzen - erst recht nach dem abendlichen Zähneputzen. Laut BGH hätte für womöglich schlecht informierte Eltern das Risiko mit deutlichen Worten plausibel gemacht werden müssen. Ob deshalb - spielte der Fall in Deutschland - auch Ikea mehr hätte tun müssen, sei aber zweifelhaft, sagt Rechtsanwalt Thomas Klindt von der Münchner Kanzlei Noerr. Die Gefahren kippender Möbel seien sehr viel leichter zu begreifen als die Risiken des süßen Tees.

Klage wegen eines explodierenden Boilers ging nicht durch

Allerdings müssen die Hersteller damit rechnen, dass die Verbraucher Fehler machen. Das Oberlandesgericht Naumburg hatte einen Hausrat-Discounter wegen einer "Tischfeuerstelle" zu Schadenersatz verurteilt. Das Ding war explodiert, weil Ethanol vom Brenngefäß in den Übertopf geschwappt war. Wäre der Käufer wirklich sorgfältig gewesen, wäre nichts passiert - aber der Hersteller müsse eben auch mit einem "schlichten Fehlgebrauch" rechnen, urteilte das OLG.

Dass jemand, der davon nichts versteht, sich zum Elektroinstallateur aufschwingt - das kann den Firmen aber nicht angelastet werden. Vor zwei Jahren ging es beim BGH um einen Boiler vom Baumarkt. Nicht ganz einfach zu installieren, weshalb die Anleitung zur Fachkraft riet. Der Käufer jedoch meinte, er könne das selbst. Doch das Gerät explodierte, der Mann wurde verletzt. Er klagte und verlor: Für "sämtliche Fälle eines unvorsichtigen Umgangs mit dem Produkt" vorzusorgen, könne vom Hersteller nicht verlangt werden.

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SZ vom 24.07.2015
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