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Karussel-Geschäft:Europa gelingt Schlag gegen Steuerbetrüger

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Die Europäische Staatsanwaltschaft deckt den größten Mehrwertsteuerbetrug in der EU auf. Es geht um Milliarden Euro.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Hausdurchsuchungen in 14 EU-Staaten, 600 Verdächtige, ein Betrügernetzwerk von 9000 Firmen und ein Steuerschaden von 2,2 Milliarden Euro: Die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) hat am Dienstag gezeigt, was sie drauf hat. Es handele sich um den "größten bisher aufgedeckten europäischen Mehrwertsteuerbetrug", sagte die EUStA-Chefin Laura Kövesi. Kriminelle Unternehmen hätten Elektronikgeräte verkauft und zu Unrecht von den nationalen Finanzbehörden Mehrwertsteuer zurückerhalten, bevor sie diese Einnahmen in Offshore-Gebiete weitergeleitet hätten, lautet der Verdacht.

Die EUStA zieht alle Fälle von Finanzkriminalität an sich, in denen dem EU-Haushalt finanzieller Schaden entsteht. In ihre Zuständigkeit fällt auch grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug, wenn der Schaden zehn Millionen Euro übersteigt. Die junge Behörde mit Sitz in Luxemburg hat erst im Juni 2021 ihre Arbeit aufgenommen. Die bislang 22 beigetretenen Mitgliedstaaten müssen der EUStA jedes so gelagerte kriminelle Verhalten melden.

Die nun vollzogene Operation "Admiral" begann in Portugal. Dort ermittelten portugiesischen Steuerbehörden in Coimbra im April 2021 gegen ein Unternehmen, das Mobiltelefone, Tablets, Kopfhörer und andere elektronische Geräte vertrieb. Der Verdacht: Mehrwertsteuerbetrug. Die Portugiesen meldeten den Fall an die EUStA. Deren Ermittler, die von Europol unterstützt wurden, rekonstruierten Geschäftsverbindungen zwischen dem verdächtigen Unternehmen in Portugal und etwa 9000 Firmen, meist in anderen Staaten.

Behördenchefin Kövesi sagte: "Die Operation 'Admiral' zeigt deutlich die Vorteile einer länderübergreifenden Staatsanwaltschaft. Ohne den europäischen Helikopterblick hätte eine solche Operation wahrscheinlich nie durchgeführt werden können." Die Ermittlungen hatten 18 Monate gedauert, die Spuren führten auch ins EU-Ausland, etwa nach Albanien, China, Mauritius, Serbien, Singapur, die Schweiz, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien und die USA.

Umsatzsteuerbetrug kostet deutsche Steuerzahler jährlich Milliarden

Europaweit beläuft sich der jährliche Schaden dieser "Karussellgeschäfte" auf etwa 50 Milliarden Euro. Dabei werden beispielsweise Handys oder Autoteile in der EU in einer Art Endlosschleife verkauft - daher der Name "Karussell". Die Masche: Ein Unternehmen in der Kette stellt die Umsatzsteuer auf seine Verkäufe zwar in Rechnung, führt die Steuer aber nicht ab. Gleichzeitig macht der Leistungsempfänger die Vorsteuer geltend und erhält diese vom Finanzamt ausgezahlt.

Die Rotationsgeschwindigkeit der Verkäufe sowie Menge und Preis der kleinen aber zumeist hochwertigen Waren sind die maßgeblichen Kriterien für den Profit. "Man spricht inzwischen auch von Streckengeschäften", klagt ein Steuerfahnder. "Die Lieferungen machen lange Wege, die Banden nehmen in Deutschland zig Firmen in die Kette, und dann geht die Ware nach Italien. Um das nachzuvollziehen, müsste man 50 deutsche Firmen prüfen - das geht zeitlich gar nicht, zumal diese Firmen sich immer schnell auflösen."

Der Umsatzsteuerbetrug kostet die deutschen Steuerzahler jedes Jahr rund 14 Milliarden Euro. Die Bundesregierung wisse das seit mehr als zwanzig Jahren und tue nichts dagegen, wie der Bundesrechnungshof 2020 rügend feststellte.

Was sollte man tun? "Als Vorbild dienen Spanien und Italien. Dort gibt es bereits Echtzeit-Verpflichtungen, Umsätze zu melden. Das funktioniert über einen von der Regierung betriebenen Server. Es sollte mit einem Reverse Charge System verbunden werden", sagte Roland Ismer, Professor für Steuerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 2020 vor dem Finanzausschuss des Bundestags. Beim Reverse Charge System zahlt nur noch der Unternehmer Umsatzsteuer, der direkt an den Endkunden verkauft. Erstattungsanträge unter Zwischenhändlern, die bei den Karussellen zum Betrug genutzt werden, entfallen. Dessen gesamteuropäische Umsetzung in der EU ist 2006 gescheitert.

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