Süddeutsche Zeitung

Umdenken beim Discounter:Zu Besuch im Aldi-Testlabor

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Aldi als Discounter der Zukunft? Der neue Mustermarkt des Discounters in Castrop-Rauxel könnte als Blaupause für einen Umbau des gesamten Filialnetzes dienen und lässt die Konkurrenz aufhorchen. Veränderung tut auch dringend Not, denn nur mit preiswerten Produkten lockt man Kunden längst nicht mehr an.

Stefan Weber, Castrop-Rauxel

Nichts scheppert, klappert, knarrt. Im Flüsterton gleitet der Einkaufswagen über den grauen Steinboden. Die Gänge sind ungewohnt breit - es wäre Platz genug für ein Wagenrennen mit gleich drei Startern. Vorbei geht es an einer Station mit frisch aufgebackenem Brot und Brötchen. Entlang mehrerer Regal-Meter mit Drogerie- und Kosmetikartikeln, geschickt ausgeleuchtet mit Extra-Strahlern und dekoriert mit großen Fotos. Gleich daneben locken Obst und Gemüse in Hülle und Fülle, einzeln oder abgepackt in kleinen und großen Mengen. Die große Glasfront und mehrere Oberfenster lassen viel Tageslicht hinein. Plötzlich ertönt eine freundliche Stimme: "Liebe Kunden, Kasse drei öffnet jetzt für Sie." Ein grüner Pfeil leuchtet auf am Bezahlterminal und weist den Weg. An Kasse drei hat schon eine freundliche junge Dame Platz genommen, schicke hellblaue Bluse, dunkelblaue Weste mit Namensschild. "Guten Morgen", sagt sie. Und: "Danke für Ihren Einkauf."

Willkommen im Testmarkt von Aldi Nord in Castrop-Rauxel. In der Ruhrgebietsstadt erprobt der Discounter in einem schicken grauen Flachbau auf etwa 800 Quadratmetern Verkaufsfläche Ideen und Konzepte, die vielleicht schon bald zum Standard in anderen Filialen werden. Mehr als 2500 Märkte betreibt der Billiganbieter in Deutschland, weltweit sind es etwa 5200 in zehn Ländern.

Viele Läden sehen aus wie die Filiale an der Steeler Straße im Essener Stadtteil Huttrop: Dumpfes Neonlicht fällt auf einen in die Jahre gekommenen Fußboden. Am Kopfende des Ladens stehen schlecht beleuchtete, altgediente Kühltruhen, dazwischen abgenutzte Regale. Und an der Kasse hämmert ein mürrischer Mitarbeiter im ehemals weißen Schmuddelkittel auf ein Terminal, das beim Hersteller Wincor Nixdorf vermutlich Museumsstatus besitzt.

Handelskenner wissen: Kein Discounter hat in den vergangenen Jahren so wenig in seine Läden investiert wie Aldi Nord. Die Kette war das Reich von Theo Albrecht, der im Sommer 2010 starb. Zusammen mit seinem Bruder Karl hatte er in den sechziger Jahren den Billiganbieter gegründet. Da die Geschwister nicht immer einer Meinung waren, teilten sie ihre Vertriebsgebiete schon früh in eine Nord- und eine Süd-Region.

Alte Billig-Masche zieht nicht mehr

Der "Aldi-Äquator" verläuft quer durch Nordrhein-Westfalen und Hessen. Im Süden ging es schon immer fortschrittlich zu: Karl Albrecht investierte kräftig in die Ladenkette und war Neuem gegenüber aufgeschlossen. Ganz anders sein Bruder: Er galt als Pfennigfuchser, der überall sparte und Investitionen so lange aufschob, bis es nicht mehr anders ging. So verkamen vielerorts Fußböden, Fensterfronten und Fassaden.

In der Kasse spürte der Billigheimer das lange Zeit nicht. Schließlich achteten die Kunden lange Zeit vornehmlich auf den Preis - und da war Aldi der Konkurrenz oft eine Naselänge voraus. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute entscheidet sich die Schlacht nicht mehr unbedingt wegen des Preises. "Die alte Strategie - Preis runter, und die Kunden kommen - funktioniert nicht mehr", stellte Rewe-Chef Alain Caparros bereits vor einiger Zeit fest.

Auch wer stark auf den Cent achtet, hat höhere Ansprüche an die Ausstattung der Läden und wünscht sich ein größeres Angebot an frischen Artikeln. Aldi Nord hat das zu spüren bekommen. In vielen Warengruppen hat der Branchenführer zuletzt Marktanteile verloren. Wie viel genau, dazu äußert sich der Discounter genauso wenig wie zu seiner Strategie. Nach den im Bundesanzeiger veröffentlichten Zahlen hatte Aldi Nord 2010 (aktuelle Zahlen liegen nicht vor) nur ähnlich viel umgesetzt wie schon 2006 - gut 9,9 Milliarden Euro.

Seit Juni vergangenen Jahres führt Marc Heußinger, 46, Aldi Nord. Er kennt sich bestens im Haus aus, war gleich nach seiner Promotion 1998 zu der Discount-Gruppe gekommen. Und nun scheint der Billiganbieter ein Stück weit abzuweichen von der reinen Discount-Lehre, die auf schmucklose Verkaufsstellen und ein karges Angebot setzte.

Eine andere Wahl gibt es auch nicht. Mitbewerber wie Lidl und Netto, eine Tochter von Edeka, rüsten gehörig auf und setzen den Branchenführer unter Zugzwang. Selbst Rewe-Ableger Penny, die abgeschlagene Nummer vier unter den Billiganbietern, nimmt nun einen dreistelligen Millionenbetrag in die Hand, um sein Ladennetz gehörig aufzupeppen und das Sortiment umzukrempeln.

Hinzu kommt, dass in der Billig-Liga neue Mitbewerber mitmischen. Supermärkte wie Edeka und Rewe sowie SB-Warenhausketten wie Real und Kaufland bieten inzwischen mehrere hundert Artikel als Eigenmarken an, die nicht teurer sind als Aldi-Produkte. Auch deshalb stagniert der Marktanteil der Discounter seit Jahren bei 43 Prozent. Dabei waren Fachleute lange Zeit sicher, dass die Billiganbieter schon bald die Hälfte des Lebensmittelgeschäfts in Deutschland abwickeln würden.

Bei der Werbung und bei der Verpackung vieler Produkte hat Aldi Nord bereits neue Wege eingeschlagen. Auch das Sortiment hat der Discounter in Teilen neu geordnet. Künftig sollen mehr Markenprodukte in die Regale rücken - etwa vom Süßwarenhersteller Ferrero, dessen Artikel seit einigen Wochen verkauft werden. Heußinger ist in der komfortablen Lage, auf gut gefüllte Kassen zurückgreifen zu können, um den Neustart zu finanzieren. Denn die Umsatzrendite von Aldi Nord lässt viele Mitbewerber vor Neid erblassen. Vor Steuern waren es 2010 stolze 3,5 Prozent - trotz leicht gestiegener Kosten für das Personal.

Konkurrenz gibt sich die Klinke in die Hand

Die Konkurrenz horcht auf. Seit Aldi Nord vor gut drei Wochen den Testmarkt in Castrop-Rauxel eröffnet hat, haben schon Heerscharen Manager anderer Firmen den vermeintlichen "Future store" unter die Lupe genommen. Es ist der erste in Deutschland, eine ähnliche Aldi-Modellfiliale gibt es seit vergangenem Herbst in Belgien.

Die Mitbewerber fürchten, der Marktführer habe möglicherweise bahnbrechende Konzepte erdacht, die eine unmittelbare Reaktion erfordern. Ganz so ist es offensichtlich nicht. "Aldi Nord hat das Rad nicht neu erfunden. Aber es gibt viele interessante Ansätze", heißt es bei einem Konkurrenten. Wenn der Branchenführer agiert, sehen sich die Mitbewerber eben rasch unter Zugzwang. So wie die Lidl-Filiale, nur 300 Meter entfernt: Kurz bevor der Aldi-Testmarkt seine Tore öffnete, installierte der Nachbar eine Backstation, um ebenfalls frisches Brot und Brötchen anbieten zu können.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2012
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