Süddeutsche Zeitung

Ruhrkonzern:Den Thyssenkrupp-Mitarbeitern bleibt eine letzte Hoffnung

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Ein Stück sozialer Marktwirtschaft steht auf der Probe: Kann Thyssenkrupp als Beteiligungsgesellschaft überleben? Die Zukunft der Beschäftigten hängt davon ab.

Kommentar von Benedikt Müller, Düsseldorf

Diese Wende ist ein später Sieg ungeduldiger Finanzinvestoren: Jahrelang hat Thyssenkrupp versucht, unabhängiger vom schwankenden Stahlgeschäft zu werden, das unter billigen Importen aus Asien leidet. Stattdessen wollten die Essener zu einem modernen Technologiekonzern aufsteigen, mit mehreren Sparten von U-Booten bis hin zu Aufzügen. Doch diesen Anspruch hat Thyssenkrupp am Wochenende aufgegeben: Aus dem stolzen Ruhrkonzern soll nun eine schlanke Holding werden, 4000 Stellen in Deutschland fallen weg. Und Thyssenkrupp beginnt, das Tafelsilber zu verkaufen: Das profitabelste Geschäft mit Aufzügen soll bald an die Börse gehen, weitere Partnerschaften sind denkbar.

Das entspricht genau den Forderungen, die kritische Großaktionäre wie der schwedische Finanzinvestor Cevian bereits vor Jahren stellten. Und es entspricht einem Zeitgeist, dem etwa auch Siemens folgt: weniger Beschäftigte in den Konzernzentralen, mehr Freiheit und Verantwortung für die einzelnen Geschäftsbereiche.

Auslöser der bitteren Einschnitte in Essen mag zwar sein, dass die EU-Wettbewerbskommission die geplante Fusion der Stahlwerke von Thyssenkrupp und Tata Steel Europe unterbunden hat; beide Konzerne hätten doppelte Kosten in ihrem Gemeinschaftsunternehmen einsparen können. Doch die Probleme von Thyssenkrupp reichen viel weiter: Nach gescheiterten Auslandsabenteuern vor einigen Jahren ist der Traditionskonzern hoch verschuldet. Er verdient bis heute zu wenig Geld, um in die Zukunft all seiner Geschäfte investieren zu können. Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, dass Unternehmen langfristig überleben und erfolgreich sind.

Die IG Metall rüstet sich daher schon für einen weiteren Ausverkauf: Sollte Thyssenkrupp bald die nächste Sparte in die Eigenständigkeit entlassen, müsste zumindest über Garantien für die Beschäftigten verhandelt werden. Das hat die Gewerkschaft am Wochenende ausgehandelt. Und es ist diese, vielleicht letzte Hoffnung, die Zehntausenden verunsicherten Mitarbeitern bleibt: dass Thyssenkrupp nun als Beteiligungsgesellschaft überleben wird, die keinen Beschäftigten ins Bodenlose stürzen lässt. Für diese Sozialpartnerschaft, für diesen Interessenausgleich zwischen Arbeitern und Geldgebern sind gerade die Konzerne an Rhein und Ruhr berühmt. Insofern steht in Essen ein Stück sozialer Marktwirtschaft auf der Probe.

Dazu gehört, dass Thyssenkrupp die Einnahmen aus einem Teilbörsengang der Aufzugssparte nicht kurzfristig an die Aktionäre ausschütten, sondern in die langfristige Zukunft der Geschäfte investieren sollte. Daran sollte auch jedem Investor gelegen sein, der auf mehr als nur den schnellen Gewinn spekuliert.

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