Süddeutsche Zeitung

Textilindustrie:Lohnlücke in der Lieferkette

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Mehr Biobaumwolle, weniger Chemikalien: Im Bündnis für nachhaltige Textilien bemühen sich deutsche Konzerne um mehr Transparenz. Doch beim entscheidenden Problem sind die Fortschritte oft klein.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Was hilft den Textilarbeitern in Entwicklungs- und Schwellenländern? Ihre Lebensbedingungen werden sich nur dann entscheidend verbessern, wenn sie einen existenzsichernden Mindestlohn erhalten, darüber sind sich Experten einig, mögen sie auch über dessen richtige Höhe streiten. "Höhere Löhne für die Näherinnen sind notwendig", sagt Jürgen Janssen, der Leiter des Sekretariats des Bündnisses für nachhaltige Textilien. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat es 2014 ins Leben gerufen, nachdem die Fabrik Rana Plaza in Bangladesch eingestürzt war und mehr als 1100 Menschen gestorben waren. Ziel des Bündnisses ist es, dass Unternehmen sich freiwillig auf höhere soziale und ökologische Standards verpflichten.

Die Mitgliedsfirmen stehen derzeit für knapp die Hälfte des Bekleidungsmarkts in Deutschland, darunter sind Adidas, Tchibo, Edeka, Kik und. Aldi. Mit dabei sind auch Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Kampagne für Saubere Kleidung. Am Montag informierten die Mitglieder erstmals über ihre Fortschritte. Gemeinsam hätten sie vergangenes Jahr 1100 Vorhaben realisiert und rund 80 Prozent ihrer selbst gesteckten Ziele erreicht, teilte das Bündnis Montag mit.

"Mehr Transparenz war nie", sagte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland. Die Mitglieder hätten sich verpflichtet, ab dem laufenden Jahr 160 kritische Chemikalien nicht mehr bei der Herstellung von Kleidung einzusetzen. Außerdem hätten sie sich auf einen Abwasserstandard geeinigt. Die Mitgliedsfirmen steigerten zudem den Anteil von nachhaltiger und Biobaumwolle auf rund ein Drittel, womit das Bündnis schon fast das selbst gesteckte Ziel von 35 Prozent für 2020 erreicht hat.

Die Transparenz offenbart aber auch einen gehörigen Stillstand bei den existenzsichernden Löhne. Es sei "mager", wenn fünf Jahre nach Gründung des Bündnisses die meisten Unternehmen noch immer mit der Bestandsaufnahme bei ihren Lieferanten beschäftigt seien, sagte Johannes Norpoth, der Koordinator der zivilgesellschaftlichen Mitgliedsorganisationen im Bündnis. Ein Lichtblick sei der Sportartikelhersteller Vaude. Im Hauptproduktionsland Vietnam bezahlen die Lieferanten Arbeiterinnen "weit über dem Mindestlohn", heißt es in dem Fortschrittsbericht von Vaude. Teilweise erreichen die Gehälter schon das Niveau existenzsichernder Löhne, wenn man sie nach der sogenannten Anker-Methode berechnet.

Das Bündnis bemüht sich um weitere Fortschritte bei den Löhnen. Große Hoffnung liegt auf der Kooperation mit der Stiftung ACT - sie will durch Tarifverhandlungen in Produzentenländer erreichen, dass die Löhne in der Textilindustrie steigen. Das Pilotprojekt soll in Kambodscha starten, kommt aber nicht voran. Der Textildiscounter Kik will nun entsprechende Tarifverträge akzeptieren, auch ohne ACT beizutreten, teilte die Firma mit. Gleiches gelte für Aldi Süd und Aldi Nord, bestätigte ACT-Geschäftsführer Frank Hoffer. Noch sei allerdings unklar, ob die Arbeitgeber in Kambodscha sich überhaupt auf das Projekt einlassen würden.

Ab dem laufenden Jahr müssen die Unternehmen im Bündnis erstmals verbindliche Maßnahmen ergreifen, die bewirken sollen, dass die Arbeiterinnen existenzsichernde Löhne erhalten. Außerdem müssen die Mitgliedsfirmen den Arbeitern bei ihren Zulieferern den Zugang zu sinnvollen Beschwerdemechanismen schaffen. "Hier liegt vieles im Argen", sagt Janssen, wenn etwa die Beschwerdebox im Büro eines Managers hänge und damit Näherinnen abgeschreckt würden, Missstände anzuprangern. Wie es gehen könne, zeigt die Fair Wear Foundation mit ihrem Beschwerdemechanismus, bei dem Arbeiter unter anderem telefonisch oder per Mail mit einer unabhängigen Stellen in ihrer Landessprache sprechen können. Das Textilbündnis kooperiert mit der Fair Wear Foundation. Allerdings dürften nach der Einführung eines effizienten Systems die Beschwerden erst einmal zunehmen, erwartet Janssen. Manche Firma schrecke deswegen davor zurück.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2019
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