Süddeutsche Zeitung

Strom:Offene Grenze, höhere Preise

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Von Michael Bauchmüller, Berlin

In Irsching wird wieder gebaut. Ein neues Gaskraftwerk soll an der Donau entstehen. Doch kein Energiekonzern ist der Auftraggeber, sondern der Stromnetz-Betreiber Tennet; mit dem Bau beauftragt ist der Essener Kraftwerksbetreiber Uniper. Und genau genommen ist die Anlage in Oberbayern auch kein klassisches Kraftwerk, sondern ein "netztechnisches Betriebsmittel". Ein Puffer fürs Stromnetz.

Solche Puffer braucht es, weil zwischen Nord und Süd Stromleitungen fehlen. Zwar gibt es bei starkem Wind oft mehr als genug Strom - das aber vor allem im Norden, wo die großen Windparks stehen. Um das System stabil zu halten, müssen daher oft Kraftwerke im Norden heruntergeregelt werden, während sie im Süden angeschmissen werden. 2017 lagen die Kosten für dieses sogenannte "Redispatch" allein bei 1,4 Milliarden Euro. Verantwortlich für die Stabilität sind die Betreiber der vier großen Übertragungsnetze, und die wiederum holen sich die Kosten bei den Stromkunden zurück: über die Netzentgelte.

Mittlerweile sind sie der größte Posten der Stromrechnung. Und eine Einigung innerhalb der EU dürfte dafür sorgen, dass die Kosten weiter steigen.

Grund dafür ist paradoxerweise das Erfolgsmodell der Europäischen Union: der Binnenmarkt. Für Güter und Dienstleistungen funktioniert er schon lange. Bei der Elektrizität dagegen blieb der Grenzübertritt kompliziert. Mal fehlten schlicht Leitungen zwischen Ländern, mal waren sie viel zu klein. Mal wurden sie - wie etwa die Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland - künstlich gedrosselt, zum Beispiel bei starkem Wind. Zum deutschen Überschuss an Windstrom sollte nicht auch noch der dänische Überschuss hinzukommen. Derlei Beschränkungen im Handel wollte Brüssel nicht länger hinnehmen.

Anfang Dezember verhängte die EU-Wettbewerbsbehörde eine schrittweise Öffnung der Stromgrenze zu Dänemark, in Absprache mit Tennet. Das Unternehmen betreibt auch im hohen Norden das Stromnetz. Die Entscheidung sei "voll auf der Linie unseres Ziels, den europäischen Energiemarkt wettbewerblicher und integrierter zu gestalten", lobte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Kurz vor Weihnachten schließlich einigten sich Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten auf das "Winterpaket" für den Energiemarkt - samt Öffnung der restlichen Stromgrenzen. Schrittweise müssen sie nun bis 2025 geöffnet werden - zu dann mindestens 70 Prozent ihrer Kapazität.

Nach Dänemark sind es 75 Prozent. Selbst Experten der Bundesregierung ist klar, dass das am Strompreis nicht spurlos vorbeigeht. Denn die offene Grenze, so schön sie in der Theorie ist, wird die Engpässe im deutschen Netz verschärfen. Solange die Stromautobahnen von Nord nach Süd nicht fertig sind, wird sich nun noch mehr Strom nicht transportieren lassen. Im Süden dagegen könnte noch mehr Strom abfließen, der für die Stabilisierung des deutschen Systems gebraucht wird.

Die Folgen dürften perfide sein: Bei starkem Wind etwa könnten Windparks in Deutschland auf Anweisung der Netzbetreiber gedrosselt werden, damit Strom aus Dänemark den zugesagten freien Zugang zum deutschen Markt bekommt - auf Kosten hiesiger Stromkunden. "Letztendlich nutzt diese Einigung nicht der europäischen Idee, sondern sie schadet ihr", sagt Grünen-Energiepolitikerin Ingrid Nestle. Verbrauchern lasse sich das kaum noch erklären. "Und am Ende heißt es dann wieder, die Energiewende ist schuld."

Verbraucherschützer vermuten Deal

Die Bundesregierung hatte die Brüsseler Einigung vor Weihnachten dennoch begrüßt, als "Stärkung des grenzüberschreitenden Handels". Verbraucherschützer vermuten, dass dahinter ein Deal steckt. "Ohne die Zustimmung zur Öffnung der Grenzen hätte Brüssel womöglich eine Spaltung des deutschen Strommarktes durchgesetzt", sagt Holger Schneidewindt, der das Thema bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen verfolgt.

Die Kommission hatte wiederholt eine solche Spaltung in Nord und Süd ins Gespräch gebracht. Der Süden hätte sich auf höhere Preise einstellen müssen, für die Bundesregierung ein Unding. "Der Preis ist nun, dass alle Verbraucher mehr zahlen müssen, damit die Strompreise für die süddeutsche Industrie nicht steigen", sagt Schneidewindt. "Ohne, dass es je eine Abschätzung der Kosten gab." Das Wirtschaftsministerium wiederum geht davon aus, dass sich die Kosten "ungefähr" auf heutigem Niveau halten lassen. Klar sei aber auch, "dass Netzausbau und Netzoptimierung jetzt schnell vorankommen müssen". Bei Tennet wiederum heißt es, für eine Kostenabschätzung sei es noch zu früh.

Probleme macht aber offenbar nicht nur der Preis. Am Mittwoch um halb sieben fiel in Flensburg der Strom aus. Ampeln streikten, Krankenhäuser schalteten den Notstrom ein. Grund, so hieß es später, sei eine gestörte Leitung gewesen. Nach Dänemark.

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SZ vom 10.01.2019
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