Süddeutsche Zeitung

IG Metall zu Streetscooter-Aus:"Für viele Beschäftigte war es wie ein Lebenswerk"

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Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Der Streetscooter war ein Hoffnungsträger. In Aachen etwa, wo das elektrische Postauto in einer alten Waggonfabrik vom Band läuft und Arbeitsplätze rettete. Oder in Düren, wo ein früheres Ford-Werk Platz für eine zweite Produktionsstätte bot. Umso größer ist die Enttäuschung, seit die Deutsche Post Ende voriger Woche angekündigt hat, dass sie ihre Fahrzeugproduktion noch in diesem Jahr beenden will.

"Die Ankündigung der Deutschen Post hat uns überrascht", sagt Achim Schyns, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Aachen. "Wir waren davon ausgegangen, dass die Post einen Investor finden würde, der sich mit an Streetscooter beteiligt." Doch nach verlustreichen Jahren hat der Konzern diese Suche nun aufgegeben.

Die Post hatte das Aachener Start-up 2014 gekauft, da etablierte Autokonzerne ihrer Ansicht nach keine guten E-Nutzfahrzeuge im Angebot hatten. Zuletzt wollte Streetscooter sogar nach China und in die USA expandieren. Die Post will dies jedoch nicht alleine bezahlen. 2019 fuhr Streetscooter gut 100 Millionen Euro Verlust ein.

"Zumindest dachten wir, dass die Post selbst die Fahrzeuge für ihre eigene Flotte abnehmen würde", sagt Gewerkschafter Schyns. Gut 11 000 der Fahrzeuge nutzt der Konzern schon in der Zustellung. Ein paar Tausend bereits produzierte Streetscooter sollen noch hinzukommen. Doch damit die Post ihre ganze Flotte von mehr als 40 000 Brief- und Paketautos hierzulande elektrifizieren kann, wird sie künftig auch bei Autokonzernen einkaufen müssen. "Nun sehen wir eine ziemliche Betroffenheit unter den Beschäftigten", so Schyns.

Streetscooter zählt mittlerweile etwa 500 Mitarbeiter. "Die Belegschaft ist hoch motiviert", sagt Schyns. "Für viele Beschäftigte war es wie ein Lebenswerk, zur Entwicklung dieses Unternehmens beizutragen." Der Arbeitnehmervertreter hofft nun, dass viele Beschäftigte zu anderen Arbeitgebern wechseln können; auch Post-Chef Frank Appel hatte sich diesbezüglich zuversichtlich geäußert.

"Wir erwarten, dass die Post hier als sozialer Arbeitgeber auftreten wird"

Dem Konzern zufolge soll sich Streetscooter künftig darauf beschränken, produzierte Fahrzeuge zu warten und zu reparieren. Wie viele Beschäftigte die Post dafür benötigen wird, steht noch nicht fest. "Wir werden uns dafür einsetzen, möglichst viele Arbeitsplätze bei Streetscooter zu erhalten", sagt Schyns. "Wir erwarten, dass die Post hier als sozialer Arbeitgeber auftreten wird." Sie solle auch prüfen, ob sie Beschäftigte der Autotochter in anderen Bereichen des Konzerns weiterbeschäftigen könne, regt der Gewerkschafter an.

Zusätzlich zu den eigenen Leuten arbeitet Streetscooter mit Zulieferern wie Talbot in Aachen und Neapco in Düren zusammen. Ob auch dort Stellen wegfallen werden, ist bislang unklar. "Zum Glück arbeitet Talbot auch noch für die Schienenfahrzeugindustrie", sagt Schyns. Die Post geht davon aus, dass sich ihre Abschreibungen auf Streetscooter sowie die Kosten für den Personalabbau und die Abwicklung von Verträgen auf bis zu 400 Millionen Euro summieren werden.

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SZ vom 03.03.2020
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