Süddeutsche Zeitung

Statistisches Bundesamt:Mehr als drei Millionen Arbeitende sind armutsgefährdet

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Drastisch gestiegene Zahl verarmter Erwerbstätiger

Bevor Thilo Sarrazin zum Bestseller-Autor wurde, riet er armen Menschen, wie sie Geld sparen könnten. Sie könnten ja mit einem "dicken Pullover" bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur "vernünftig leben", behauptete er ( hier mehr dazu).

Tatsächlich ist es so, dass die Betroffenen oft genau das machen, wovon Sarrazin sprach. Die Heizung abdrehen, um Geld zu sparen. Das es sich bei den Frierenden keineswegs immer um Sozialhilfeempfänger, sondern immer öfter um Arbeitnehmer handelt, belegt das Statistische Bundesamt. Der Befund: Deutschlands Erwerbstätige verarmen.

Ende 2013 bezogen etwa 3,1 Millionen Erwerbstätige ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle. Der Anstieg innerhalb weniger Jahre ist massiv: Es sind 25 Prozent mehr als 2008, dem Jahr, als Sarrazin seinen Pullover-Spruch machte. Damals lag die Zahl der armen Erwerbstätigen noch bei etwa 2,5 Millionen, wie die Saarbrücker Zeitung unter Berufung auf eine Sonderauswertung der Statistiker berichtete.

Weniger heizen, weniger essen, Miete später überweisen

Der Geldmangel wirkt sich für die Betroffenen nicht nur beim Heizen drastisch aus: Haushaltsbefragungen ergaben, dass 379 000 der armutsgefährdeten Erwerbstätigen im Jahr 2013 ihre Miete nicht rechtzeitig bezahlen konnten. 417 000 verzichteten auf ein angemessenes Heizen, und 538 000 sparten beim Essen, indem sie nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit zu sich nahmen.

Für etwa jeden zweiten Betroffenen (1,5 Millionen) sei bereits ein einwöchiger Urlaubsaufenthalt im Jahr nicht bezahlbar gewesen. Fast 600.000 Betroffene hätten sich kein eigenes Auto leisten können.

Als armutsgefährdet gilt dem Bericht zufolge, wer einschließlich aller staatlichen Transfers wie zum Beispiel Wohn- oder Kindergeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielt. 2013 lag diese Schwelle in Deutschland bei 979 Euro netto im Monat.

16,2 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen

Im selben Jahr waren 20,3 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, wie das Statistische Bundesamt im Dezember 2014 berichtete. Demnach ist jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik betroffen: 16,2 Millionen Menschen ( hier mehr dazu).

2013 erreichte die Kinderarmut in Deutschlands bevölkerungsreichem Bundesland Nordrhein-Westfalen ebenso einen besonders hohen Stand. Jedes fünfte Kind war dem Statistischen Landesamt zufolge armutsgefährdet. Genau waren es 21,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren. 2012 waren es 20,2 Prozent.

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