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Social Media:Die Zeit der sozialen Tristesse geht vorbei

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Soziale Medien sind oft nur ein Fegefeuer der Eitelkeiten. Doch es ändert sich etwas: Neue Funktionen und Apps setzen auf intime Kommunikation statt auf möglichst viele "Freunde".

Von Michael Moorstedt

Es scheint fast so zu sein, als sei man im Silicon Valley, nachdem man einen großen Kreis beschritten hat, wieder am Startpunkt angekommen. Hieß es erst, die ganze Welt müsse verbunden werden, hat man seit einiger Zeit erkannt, dass es nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität von sozialen Verbindungen geht.

Instagram hat jetzt eine Funktion namens Threads, in der man Fotos nur noch mit einer Liste von ausgewählten Freunden teilt. Auf Tiktok, der momentan noch heißesten Plattform der Stunde, gibt es schon gar keine richtige Vernetzung durch den Nutzer mehr. So gut wie alles wird durch einen Algorithmus gesteuert. Das ist bemerkenswert, weil die Netzwerke von der Anzahl der Knotenpunkte leben: Die einfache Gleichung lautet: Je mehr Verbindungen, desto mehr Interaktionen, desto mehr Werbeeinnahmen. Und so werden die Nutzer dazu aufgestachelt, sich mit so vielen Kontakten wie möglich zu verbinden. Das Umdenken hat noch einen anderen Grund: Es wird schwieriger, Risikoinvestoren mit dem Versprechen, ein neues Facebook zu entwickeln, noch Geld zu entlocken. Laut dem Branchendienst Pitchbook sind die Investitionen in Social- und Kommunikationsapps seit 2013 um beinahe die Hälfte gesunken.

In diese Tristesse stoßen neue Apps wie Cocoon, TTYL oder Squad, die einmal mehr versprechen, die Art und Weise zu revolutionieren, wie wir im Netz miteinander umgehen. All diesen Anbietern ist gemein, dass hier nur der kleinste Kreis zählt. Bei Cocoon, der App, die in der Wohlfühlkohorte momentan am weitesten verbreitet zu sein scheint, ist eine Chat-Gruppe auf zwölf Nutzer begrenzt. Statt Follower und Freunde anzuhäufen, soll also wieder echte Kommunikation stattfinden.

Jetzt geht es nicht mehr um Lebens-Highlights, sondern um Verbindlichkeit

In schöner Regelmäßigkeit legen Psychologen Studien zur Wirkung sozialer Netzwerke auf das Seelenheil ihrer Nutzer vor. Die sind allerdings ähnlich aussagekräftig wie die Werke ihrer Kollegen aus der Ernährungswissenschaft. Mal ist der maßvolle Genuss von Kaffee oder Alkohol oder Schokolade nicht so schlimm oder gar der Gesundheit zuträglich, dann ist wieder das Gegenteil der Fall. So also auch im Netz. Mal macht Instagram depressiv, dann hat der virtuelle Umgang mit echten Menschen wieder positive Auswirkungen auf die auch offline Abgehängten.

Abseits wissenschaftlicher Evidenz sind soziale Medien hauptsächlich ein Fegefeuer der Eitelkeiten, in dem es darum geht, möglichst clever, abgeklärt und witzig zu sein. In dem eine Melasse aus Zynismus und Meta-Ironie alle aufrichtigen Wortmeldungen umhüllt und unterdrückt. Ganz anders wollen es Cocoon und Konsorten machen. Hier geht es nicht um das Versenden von Lebens-Highlights, um Status oder darum, eine möglichst kohärente Identität aufzubauen, die am Ende nur noch wenig mit dem Menschen zu tun hat, der man nun mal ist. Sondern um Verbindlichkeit und Vertrauen. Die Pitches der Start-ups lesen sich so erbaulich, dass es kaum auszuhalten ist: Die Macher holen sich angeblich Hilfe bei Psychologen, um sicherzugehen, dass ihre App einen positiven Effekt auf deren Nutzer haben.

Dennoch können sie auch auf den Worthülsenjargon ihrer Zunft zurückgreifen. "Die Zukunft der sozialen Netzwerke ist maßgeschneidert und fokussiert sich auf Beziehungen", sagt einer der Macher. Dabei ist der revolutionärste Ansatz, dass all diese Apps versprechen, die Daten ihrer Nutzer nicht zu Werbezwecken zu verwenden. Geld will man über Abo-Modelle einnehmen.

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SZ vom 24.02.2020
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