Süddeutsche Zeitung

Siemens wird bestraft:Ein Bittgang, der sich gelohnt hat

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Siemens zahlt für weltweite Bestechungstaten eine Rekordstrafe von 610 Millionen Euro an US-Behörden - und fühlt sich trotzdem gut behandelt.

Markus Balser und Klaus Ott

Der erlösende Anruf kam gegen 23 Uhr in der Nacht von Freitag auf Samstag. Ein Richter aus der US-Hauptstadt Washington meldete sich in der Münchner Konzernzentrale der Siemens AG und teilte mit, er habe einen wenige Stunden vorher eingereichten Vergleichsvorschlag aufmerksam studiert. Schon an diesem Montag werde er den Fall vor Gericht verhandeln.

Der Industriekonzern hat damit gute Chancen, bei der Bewältigung seiner größten Krise in der mehr als 160-jährigen Firmengeschichte zwei Jahre nach Beginn der Affäre einen großen Schritt voranzukommen.

Siemens soll in den USA 610 Millionen Euro Geldbuße für die systematischen und weltweite Korruption zahlen, die unter der früheren Konzernführung Alltag war. Im Gegenzug wollen das US-Justizministerium und die New Yorker Börsenaufsicht SEC ihre seit zwei Jahren währenden Ermittlungen gegen das Münchner Unternehmen einstellen.

Zwar nimmt der Vergleich historische Dimensionen an. Noch nie haben US-Behörden so hohe Korruptionsstrafen gegen ein Unternehmen verhängt. Die bislang höchste Strafe musste das Ölunternehmen Baker Hughes im April 2007 zahlen. Die US-Firma schloss einen Vergleich über 44 Millionen Dollar mit den Behörden.

In der Siemens-Zentrale löste die bevorstehende Einigung am Wochenende dennoch Erleichterung aus. Noch vor Jahresfrist hatten Mitglieder der Konzernspitze vor drakonischen Strafen der einflussreichen US-Behörden von bis zu vier Milliarden Euro gewarnt. Einen ganzen Konzernteil müsse das Unternehmen in diesem Fall verkaufen, um zahlen zu können, hieß damals.

Verletzung der Buchführungspflichten

Die Konzernspitze lehnte am Sonntag einen Kommentar zur bevorstehenden Einigung ab. Intern haben Unternehmenschef Peter Löscher und Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Cromme aber signalisiert, Siemens sei beim Strafmaß gut weggekommen. "Man hat uns fair behandelt", hieß es. Die Lösung übertreffe die "kühnsten Erwartungen".

Weil Siemens nach dem Willen der Ermittler nicht wegen Bestechung, sondern nur wegen Verletzung der Buchführungspflichten und mangelnder Kontrollen bestraft werde, könne der Konzern ungehindert weiter auf dem US-Markt agieren. Der befürchtete Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sei damit vom Tisch.

Die Bittgänge der Konzernführung zahlen sich aus. Demütig hatten Löscher, Cromme und Chefjustiziar Peter Solmssen seit Monaten in den USA verhandelt. Die SEC ist dafür bekannt, dass sie hart gegen Korruptionssünder vorgeht. In anderen Fällen hat die US-Börsenaufsicht ein Mehrfaches der eingesetzten Schmiergelder als Unternehmensstrafe verhängt. Bei der Siemens AG, die seit 2001 an der New Yorker Börse notiert ist und deshalb deren strenger Aufsicht unterliegt, waren in diesem Jahrzehnt 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geflossen.

Korruptionszahlungen verschleiert

Siemens habe ein weit verzweigte Finanznetz geschaffen, um die Korruptionszahlungen zu verschleiern, heißt es in den Gerichtsakten, die der amerikanische Staatsanwalt Jeffrey Taylor dem Konzern in der entscheidenden Gerichtsverhandlung am Montag Morgen in Washington vorhalten wird. Das Fehlverhalten betreffe alle Konzernebenen - inklusive des Spitzenmanagements.

Für Siemens ist klar: Der Konzern und einige Tochterfirmen werden sich vor Gericht schuldig sprechen. In einer eilig einberufenen Aufsichtsratssitzung am Montag Nachmittag in München will der Aufsichtsrat der Lösung dann schon zustimmen. Damit wäre der Vergleich rechtskräftig. Anschließend werde der Konzern 800 Millionen Dollar an die amerikanische Staatskasse überweisen, wird aus Unternehmenskreisen berichtet. Eine entsprechende Einigung in Deutschland sei dann nur noch Formsache.

Zugute kommt dem Konzern, dass die neue Siemens-Führung um Vorstandschef Löscher und die einflussreichen Kontrolleure im Aufsichtsratspräsidium (Gerhard Cromme, IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und der bisherige Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann) kompromisslos aufgeräumt haben und so die US-Behörden besänftigen konnten.

Die neue Siemens-Spitze setzte nicht nur einen Großteil der alten Garde vor die Tür, sondern holte mit der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton auch noch eigene Aufklärer ins Haus. Zweieinhalb Milliarden Euro kosteten Aufklärung und Strafen den Konzern bislang.

Die Siemens-Führung war mit ihrem Aufklärungskurs teilweise auf heftigen Widerstand im Unternehmen und in der Politik gestoßen. Bei Bayerns Regierung unter Edmund Stoiber war Cromme wegen des rigorosen Vorgehens gegen den früheren Konzernchef Heinrich von Pierer und andere Ex-Manager in Ungnade gefallen.

Einer der wichtigsten damaligen Minister zog intern mit Schimpfworten gegen Cromme vom Leder. Die Aufklärung im Konzern habe keinen Bereich ausgelassen, lobten die US-Behörden nun. Die Aufräumarbeiten setzten hohe Standards für künftige Fälle.

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SZ vom 15.12.2008/segi
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