Süddeutsche Zeitung

Siemens-Umbau:Kaesers gewagte Wette

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Der Siemens-Chef will den Konzern neu aufstellen. Sein Vorhaben ist richtig, nur übertreiben darf er nicht - das ging schon einmal schief.

Kommentar von Marc Beise

Erst einmal eine Runde Spott: Was machen Konzernchefs am liebsten? Neue Organigramme zeichnen, Pfeilchen aufmalen, Konzernbereiche von hier nach da schieben und dann wieder zurück; dafür halten sie sich Heerscharen von Beratern, die mal dies empfehlen und mal das, aber natürlich muss es immer ganz anders sein als bisher. In den jeweiligen Einzelheiten sind die Veränderungen, die schon in der Planung viele Millionen Euro verschlingen, fürchterlich kompliziert, sonst brauchte es ja nicht die Expertise der Experten. Wer jedoch von weit weg draufschaut, erkennt die große Linie: Entweder geht es um die Konzentration der Macht - oder im Gegenteil um Dezentralisierung.

Nachdem noch 2007 die Überschriften lauteten: "Zurück zur zentralen Führung", ist jetzt die große Freiheit angesagt. Der neue VW-Chef will den einzelnen Bereichen mehr Macht geben, was Konkurrent Daimler längst getan hat, und die Energiekonzerne haben sich sogar aufgespalten. Nun also Siemens.

Länger gediente Mitarbeiter beim größten deutschen Industriekonzern erinnern sich an beide Phasen, in allen Schattierungen. Auch der heutige Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser ist so lange dabei, dass er alle Spielchen kennt. Nach seinem Amtsantritt 2013 hatte Kaeser viel Macht in seinem Umfeld konzentriert, aber man hätte darauf wetten können, dass er zum Abschluss seiner Regentschaft, die für 2021 erwartet wird, auch noch mal das Gegenteil würde probieren wollen. Die entsprechenden Beschlüsse sind jetzt in München gefallen.

Obwohl sie dort nun den großen Umbau starten, heißt das aktuelle Siemens-Programm "Vision 2020+". Das ist so bescheiden, dass es schon wieder interessant ist. Natürlich ist das kleine Pluszeichen der eigentliche Knaller, und es steht in der Tat für eine sehr ernsthafte Veränderung. Die Siemens-Bereiche sollen so viel Macht bekommen wie noch nie, sie erhalten weitgehende Autonomie, einige werden an die Börse gebracht - der Konzern wird richtig durchgeschüttelt.

Das ist richtig so - schon nach aller allgemeinen Erfahrung des Wirtschaftens, denn Führung straff von oben hat noch nie nachhaltig funktioniert. Es ist vor allem auch richtig angesichts aktueller Vorkommnisse. Rund um die Welt sind Unternehmensjäger unterwegs, die sich Opfer suchen, schlecht geführte Aktiengesellschaften, in die man sich einkaufen kann und die man dann zerschlägt.

Schon einmal wurden bei Siemens Bereiche ausgegliedert - ohne Erfolg

Kaeser will das erklärtermaßen nicht mehr erleben müssen, er will Treibender sein, nicht Getriebener. Dafür allerdings fordert er den Konzern, der einmal für seine beamtenähnlichen Strukturen bekannt war und der in der goldenen Zeit vor der Jahrtausendwende sein Geld manchmal wie im Schlaf verdiente, bis hart an die Grenze des Zumutbaren.

Die Verantwortung des Vorstandschefs ist groß. Sie besteht nicht nur darin, die richtigen Kästchen zu zeichnen, er muss mehr als 370 000 Mitarbeiter und die Aktionäre überzeugen und mitnehmen. Auch in der Sache geht Kaeser ins Risiko. Er schafft Strukturen, die nicht einfach wieder zurückgedreht werden können. Und wer dezentralisiert, kann auch übertreiben. Schon einmal wurden bei Siemens Bereiche ausgegliedert: die Festnetztelefone, die Handys, die Netzwerksparte. Damals hat Siemens Geschäft und Kunden für immer verloren, die im digitalen Zeitalter dringend gebraucht würden.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2018
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