Süddeutsche Zeitung

Saudi-Arabien:Ende der modernen Sklaverei

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Bislang sind ausländische Arbeitskräfte von einheimischen Bürgen abhängig. Selbst wenn jemand seinen Job kündigen möchte, ist eine Einwilligung nötig. Das soll sich im kommenden Frühjahr ändern.

Von Moritz Baumstieger, München

Die Ankündigung kam zwar nur von einem Vizeminister, aber sie wird das Leben von mehr als zehn Millionen Gastarbeitern in Saudi-Arabien grundlegend ändern. Sattam al-Harbi, stellvertretender Chef des Ressorts für soziale Entwicklung und Arbeit, kündigte in einem Interview eine Reform des sogenannten Kafala-Systems an, das Ausländer von einheimischen Bürgen abhängig macht. Seit einigen Tagen war bereits über diesen Schritt spekuliert worden, jetzt nannte der Vizeminister ein Datum: Am 14. März 2021 soll die Regelung in ihrer bisherigen Form Geschichte sein.

Für die gut bezahlten Fachkräfte aus dem Westen war dieses Gesetz bisher eher nur lästig. Es bedeutete zusätzliche Bürokratie, verschaffte Arbeitgebern bei Konflikten um Kündigungsfristen oder in Gehaltsfragen eine starke Position. Millionen Bauarbeiter, Hausangestellte und ungelernte Hilfskräfte, die teils aus dem arabischen Ausland, vor allem aber aus asiatischen Staaten stammen, drängte das Kafala-System jedoch teils in eine Art "moderne Sklaverei", wie Menschenrechtler kritisierten: Sie waren den Bedingungen, die der Arbeitgeber diktierte, ausgeliefert. Zu kündigen ist unter dem Kafala-System nicht möglich, solange der Kafil, der Bürge, nicht zustimmt. Was zur Folge hat, dass Angestellte selbst dann ihren Arbeitsplatz nicht verlassen konnten, wenn ihnen ihre Pässe oder ihr Lohn vorenthalten, wenn sie geschlagen oder sexuell missbraucht wurden, unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Auch in anderen Golfstaaten gelten solche Regelungen, selbst im eigentlich liberalen Libanon.

Im Königreich Saudi-Arabien sollen Arbeitnehmer fortan aber selbst bestimmen können, wann sie den Job wechseln, auf Reisen gehen, das Land verlassen. Die Änderungen seien nicht klein, sondern enorm, sagte Vizeminister al-Harbi, sie sollen für alle Gehaltsklassen und Arten von Jobs gelten. "Wir wollen Saudi-Arabien in einen dynamischeren und effizienteren Arbeitsmarkt verwandeln".

Derzeit arbeiten 10,5 Millionen Ausländer in Saudi-Arabien, sie stellen damit fast 30 Prozent der Bevölkerung und 70 Prozent der Werktätigen. In seiner "Vision 2030", die einen massiven Umbau der heimischen Wirtschaft vorsieht, plante Kronprinz Mohammad bin Salman eigentlich eine "Saudification" des Arbeitsmarktes, mehr und mehr Arbeitsplätze sollten mit Einheimischen besetzt werden. Ausgerechnet der niedrige Ölpreis verhindert derzeit viele der Investitionen, mit denen bin Salman die Wirtschaft unabhängiger von Rohstoffeinnahmen machen und die saudische Rentiersgesellschaft in eine von Unternehmern und Angestellten umbauen wollte. Mehr noch als die anhaltend schlechte PR, die das Kafala-System brachte, könnte also die Erkenntnis zu seiner Reform geführt haben, dass das Königreich besser für ausländische Arbeitnehmer attraktiv bleiben sollte.

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