Süddeutsche Zeitung

Samsung:Permanente Krise

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Der heutige Chef des koreanischen Konzerns hat seine Mitarbeiter stets zur Höchstleistung angetrieben. Jetzt ist er krank und sein System kommt an eine Grenze.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Das neue Galaxy Note 7, ein Smartphone, das sich selbst entzündete, hat den größten Familienkonzern Südkoreas in eine Krise gestoßen. Die Frage ist nur, wie groß das Problem ist. Für Samsung sollte eine Krise eigentlich nichts Ungewöhnliches sein. Als Firmenchef Lee Kun Hee 1987 im Unternehmen das Ruder von seinem Vater übernahm, forderte er eine "permanente Krise". Nur mit dem Gefühl, in einer Krise zu stecken, schaffe man Höchstleistungen. "Ein Unternehmen Samsung, das nicht Nummer eins ist, kann auf die Dauer nicht überleben", erklärte er.

Also verlangte er von seinen Managern: "Sie müssen alles ändern, nur ihre Frauen und Kinder nicht." Schon damals war Samsung der größte und erfolgreichste Chaebol, wie die Südkoreaner ihre Familienkonglomerate nennen. Sein Vater Lee Byung Chul hatte Samsung 1938 als Handelsfirma gegründet und während des "Wunders am Han", Südkoreas raschem Wirtschaftswachstums, zu einem Mischkonzern ausgebaut. Samsung verkaufte den Südkoreanern ihre erste Waschmaschine, ihren ersten Fernseher, ihre erste Klimaanlage und den ersten Computer. Zugleich betrieb Samsung schon damals ein Bauunternehmen, das einige der höchsten Hochhäuser der Welt gebaut hat und eine der größten Werften. Dazu gibt es Versicherungen, Vergnügungsparks und eine Werbeagentur; außerdem eine Waffenfirma, Kaufhäuser und ein Medienkonglomerat. Diese letzteren hat Lee abgestoßen.

Groß und mächtig geworden sind Samsung und die andern Chaebol dank des früheren Militärdiktators Park Chung Hee, dem Vater der heutigen Präsidentin. Er legte zusammen mit den Patriarchen fest, in welche Exportbranchen sie einsteigen sollten. Park garantierte ihnen den Binnenmarkt und gewährte ihnen großzügige Investitionskredite. So entstanden komplexe, verflochtene Konglomerate.

Samsung ist heute eine Gruppe von 80 Firmen, die offiziell voneinander unabhängig sind, aber von Lees Familie über eine Holding und Überkreuzbeteiligungen kontrolliert werden. Dem ehrgeizigen Lee genügte es 1987 nicht, den größten Chaebol Südkoreas zu erben. Er erklärte seinen Amtsantritt zur "zweiten Gründung von Samsung". Statt mit einer "Nummer-zwei-Mentalität" das Ausland zu kopieren und billige Massenware zu produzieren, sagte er, müsse Samsung ein globales Unternehmen werden und ohne Abstriche auf Qualität setzen. Das 21. Jahrhundert werde digital, Firmen, die die Produkte anderer kopierten, hätten keine Chance. Wenn Samsung in einer Branche zum Primus werde, ergebe sich die Masse von selbst. 1995 ließ er vor 2000 Mitarbeitern im Hof der Samsung-Fabrik in Gumi 100 000 Geräte zertrümmern und verbrennen, weil sie seinen Qualitätsstandards nicht genügten.

Lee, der sich als Halbgott in Samsungs Kontrollturm verehren lässt, vereinigte japanische und amerikanische Management-Methoden, die sich widersprechen. Er lernte viel von Sony und Toyota, ging aber weiter als die Japaner. Er verflachte Hierarchien und verkürzte Wege, delegierte Entscheidungen an die Leiter von Tochterfirmen, selbst über Milliarden-Investitionen. Das gab es bei Sony nie. Er warb den Japanern Ingenieure ab, lockerte das Senioritätsprinzip und bezahlte die Angestellten fortan nach Leistung. Er gab ihnen etwas mehr Freiheit. So schaffte er die Kleidervorschriften ab und zwang sie, mehr persönliche Verantwortung zu übernehmen.

Es war die Inthronisierung des neuen Chefs geplant - jetzt gibt es einen Feuerwehreinsatz

Das Vehikel, an dem er seine Methoden zeigte, war "Samsung Electronics", das Kronjuwel der Gruppe, das mit dem brennenden Handy jetzt schwer gepatzt hat. "Die Zukunft gehört jenen, die früher als andere Neuland erkunden und Herausforderungen annehmen", predigte Lee seinen Mitarbeitern. Die Welt ändere sich ständig. Er stockte die Forschungsabteilungen auf und stellte Zehntausende Software-Ingenieure ein. Parallel ließ er nicht nur an der nächsten Generation eines Geräts, sondern auch an der übernächsten und der dritten arbeiten. Zuweilen gab er mehreren Teams die gleiche Aufgabe, um einen internen Wettbewerb zu schaffen. Mit dieser Chuzpe stieg Samsung ohne Erfahrung in die Herstellung von Speicherchips ein, die Milliarden-Investitionen erfordert.

Das hätte beinahe Samsung das Rückgrat gebrochen. Aber Lees Pokerspiel glückte. Binnen weniger Jahre war das Unternehmen der weltweit führende Hersteller von Speicherchips, Flachbildschirmen und Fernsehern. Während Sony, der wichtigste Konkurrent, sich an seine Analog-Patente und -Geräte klammerte, etwa die Trinitron-Fernseher, eroberte Samsung den digitalen Markt und verdrängte Trinitron mit LED-Fernsehern. Die Südkoreaner sind bekannt für "ppali, ppali", das sich am ehesten mit "dalli, dalli" übersetzen lässt. Alles muss sofort geschehen, am besten schon gestern. Dieser Hang zur Geschwindigkeit, kombiniert mit kurzen Entscheidungswegen und der fast einmaligen vertikalen Integration - Samsung entwirft die Chips, Bildschirme und Batterien nicht nur, es stellt sie auch, anders als seine Wettbewerber, selber her, bis hin zum fertigen Gerät -, haben es den Südkoreanern erlaubt, die Marktführerschaft bei den Smartphones zu erobern.

Samsung reagiert flinker als die Konkurrenz, produziert schneller und blickt, zumindest ist dies Lees Credo, weiter in die Zukunft als sie. Zugleich stellt Samsung weiter Komponenten für Konkurrenten her, besonders für Apple. Das Smartphone-Werk in der Stadt Gumi wirkt wie ein Uni-Campus. Beim kurzen Blick in die Werkshalle, der Journalisten gewährt wird, fällt auf: Es gibt keine Fließbänder. Samsung produziert im "Lego-Stil", wie Lee das genannt hat. Eine Arbeiterin - hier gibt es fast nur junge Frauen - steckt jeweils ein Gerät von Anfang bis Ende zusammen und testet es. Auch die Entwicklungsabteilungen arbeiten in diesem Stil. Damit, glaubte Lee, lasse sich die Produktion schneller anpassen und den Mitarbeitern würde mehr Verantwortung übertragen.

Der inzwischen 73-jährige Lee ist schwer krank. De facto leitet sein Sohn Lee Jae Yong, der als Kronprinz gilt, die Gruppe mit 490 000 Mitarbeitern, insbesondere Samsung Electronics. Für den kommenden Winter war seine feierlich Inthronisierung geplant. Jetzt muss er als Feuerwehrmann einen Flächenbrand löschen, der, wenn Samsung die Richtlinien seines Vaters befolgt hätte, in diesem Ausmaß nie möglich geworden wäre. Die Mobil-Abteilung hat Lees oberstes Gebot, die Qualität, dem "ppali ppali" geopfert. Wissentlich. Das Management behauptete, die Batterien seien die Ursache der Smartphone-Brände, obwohl im Hause längst bekannt war, dass dies nicht stimmte.

Inzwischen mischen sich sogar Südkoreas Behörden in das Krisenmanagement ein. Da die Samsung-Gruppe 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas generiert, fürchtet die Politik, eine Samsung-Krise könnte sich zu einer Wirtschaftskrise des ganzen Landes ausweiten. Samsung gibt sich inzwischen kulant. Nicht nur die Kunden, die ihre Note-7 zurückgeben müssen, sondern auch alle Unterlieferanten sollen großzügig entschädigt werden. Samsungs Mobilsparte macht nur etwa die Hälfte von Samsung Electronics aus, das Note 7 war nur eines von mehr als einem Dutzend aktuellen Galaxy-Modellen.

Mit Fernsehern, Mikrowellen, Waschmaschinen verdient Samsung weiter viel Geld. Samsung Electronic allein sitzt auf genügend Bargeld, um diese Krise zu meistern. Sollte das nicht gelingen, würden andere Unternehmen der Gruppe helfen.

Gleichwohl haben die brennenden Handys einen Alarm ausgelöst. Samsung muss sich wieder einmal neu erfinden. Hedgefonds aus den USA wollen die Gruppe zerlegen, um sie zu versilbern. Die Galaxy-Smartphones werden von qualitativ guten, aber billigeren Chinesen bedrängt, die längst nicht mehr nur Nachahmer sind. Google, Samsungs Software-Lieferant, steigt selber in den Hardware-Markt ein. Lee Jae Yong müsste womöglich eine "dritte Gründung von Samsung" proklamieren. Stattdessen wirkte das Unternehmen in dieser Krise seltsam führungslos. Das lässt manche Südkoreaner an Jae Yong und an der Zukunft von Samsung zweifeln.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2016
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