Süddeutsche Zeitung

Russische Fluglinie:Aeroflot zofft sich mit populärem Blogger

Lesezeit: 2 min

Von Julian Hans, Moskau

Treue ist bekanntlich eine Eigenschaft, die nicht nur in privaten Beziehungen hoch geschätzt wird, sondern auch von Unternehmen. Deshalb belohnen sie ihre treuesten Kunden mit Fondue-Sets, Plüschtieren oder Gratismeilen. Bei der russischen Fluggesellschaft Aeroflot reicht die Vorstellung vom loyalen Kunden offenbar noch darüber hinaus, dass dieser oft und ausschließlich die eigene Linie nutzen möge. Er soll sich auch in seinen öffentlichen Äußerungen linientreu zeigen.

Nachdem der populäre Blogger Mitja Aleschkowskij den Aeroflot-Chef Witalij Saweljew kritisiert hatte, annullierte die Fluggesellschaft kurzerhand Aleschkowskijs Platinkarte und die darauf gesammelten Bonusmeilen. Aleschkowskij hatte am Freitag auf Twitter einen Erlass Saweljews veröffentlicht, mit dem der Konzernchef allen Mitarbeitern die Benutzung von Smartphones verbietet und kommentiert: "Saweljew ist jetzt total verrückt geworden." Der reagierte prompt.

Am Montag wurde Aleschkowskij darüber unterrichtet, dass die Unternehmensleitung auf Grundlage der Geschäftsbedingungen entschieden habe, ihm die Platinkarte zu entziehen. Tatsächlich steht im Kleingedruckten von Aeroflot Bonus, dass die Fluggesellschaft sich vorbehält, Kunden vom Treueprogramm auszuschließen, wenn diese Falschinformationen über das Unternehmen verbreiten oder Mitarbeiter beleidigen. Im Kleingedruckten steht allerdings nichts von Sippenhaft - Aleschkowskijs Ehefrau wurde bei Aeroflot Bonus der Goldstatus entzogen.

"Leute, die sich im Internet rüpelhaft verhalten, müssen damit rechnen, dass sie dafür Konsequenzen tragen"

Dass das Handyverbot echt ist, hat ein Unternehmenssprecher inzwischen zugegeben. Der Erlass kursierte auch schon früher im Netz. Es zielt nicht auf Piloten oder Flugbegleiter, sondern soll genau das verhindern, was nun passiert ist: Dass Büroangestellte Aufnahmen interner Dokumente an die Öffentlichkeit weitergeben. Mit den Regeln des Bonusprogramms sollte wohl ursprünglich eine Sanktionsmöglichkeit gegen Fluggäste geschaffen werden, die sich mit dem Personal streiten. Sogenannte Luftfahrt-Rowdys sind in Russland ein verbreitetes Phänomen, oft ist Alkohol im Spiel. Diesmal hat der Chef aber eine nüchterne Kritik persönlich genommen.

"Leute, die sich im Internet rüpelhaft verhalten, müssen damit rechnen, dass sie dafür Konsequenzen tragen", sagte Saweljew der Zeitung Kommersant. Aleschkowskij sieht sein in der Verfassung verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt und droht mit einer Klage, sollte Aeroflot die Entscheidung nicht bis Donnerstag revidieren. Für den Ton hat er sich bei Saweljew bereits entschuldigt, besser gesagt: Er hat es versucht. Der Manager hat ihn auf Twitter blockiert und will von der Entschuldigung über andere Kanäle nichts mitbekommen haben.

Aleschkowskij hat 2012 die Stiftung "Hilfe gesucht" gegründet, die soziale Projekte im ganzen Land unterstützt. Er fliegt mehr als 125 000 Meilen im Jahr, berät Initiativen vor Ort und hält Vorträge über Fundraising. Selbst wenn er sich rüpelhaft verhalten hätte, sei die Reaktion unverhältnismäßig, findet er. "Ich vertraue mehr als 50 Mal im Jahr mein Leben diesem Unternehmen an, und sie machen ihr Verhältnis zu mir von meinem persönlichen Betragen abhängig", sagte er. "Wenn man den Anspruch hat, die beste Fluggesellschaft in Osteuropa zu sein, kann man nicht eine persönliche Kränkung des Chefs über das Wohl des Unternehmens stellen."

Tatsächlich hat der Skandal den Umgang von Aeroflot mit seinen Mitarbeitern erst zu einem Thema in den russischen Medien gemacht. Dem Portal Meduza berichteten Angestellte von einem repressiven Betriebsklima. Ihr Betragen werde per Video überwacht, Denunziation von Kollegen werde belohnt, die Mitgliedschaft in einer unabhängigen Gewerkschaft bestraft. Nachfragen zu diesen Vorwürfen ließ das Unternehmen am Dienstag unbeantwortet.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2018
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