Süddeutsche Zeitung

Ruhrgebiet:Die Kohle geht, die Arbeit bleibt

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Die letzte Zeche im Ruhrgebiet ist dicht, Deutschland baut keine Steinkohle mehr ab. Doch der Bergbau wird das Land noch lange beschäftigen.

Von Benedikt Müller, Essen

Auch am letzten Förderturm ist nun Ruh: Seit diesem Jahr holt Deutschland keine Steinkohle mehr aus der Tiefe empor. Kurz vor Weihnachten hat die letzte Zeche Prosper-Haniel in Bottrop den Betrieb eingestellt, nach mehr als 150 Jahren. Der Abschied von der heimischen Kohle läuft seit Jahren, Zehntausende Bergleute mussten neue Arbeitsplätze finden. Doch werden die Folgen des Bergbaus das Ruhrgebiet und das Saarland noch auf Jahrzehnte beschäftigen. Ein Überblick.

Warum ist Deutschland aus dem Bergbau ausgestiegen?

Steinkohle abzubauen, ist hierzulande deutlich teurer als in Staaten wie Indonesien oder Südafrika, in denen die Kohle nicht ganz so tief unter der Erde schlummert, in denen aber auch Löhne niedriger und Auflagen schwächer sind. Zudem machen andere Brennstoffe wie Öl und Gas der Kohle Konkurrenz. Deutschland hat die heimische Steinkohle jahrzehntelang subventioniert, auch um Tausende Arbeitsplätze im Ruhrgebiet und im Saarland zu erhalten. Dafür hat der Staat bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Bis der Bund im Jahr 2007 beschlossen hat, dass die Subventionen Ende 2018 auslaufen sollen. So blieb den Firmen genug Zeit für einen sozial verträglichen Ausstieg: Bis zuletzt musste die Ruhrkohle AG (RAG) keinen Bergmann in die Arbeitslosigkeit entlassen.

Wie viele Kohlekumpel gibt es noch?

Bei der RAG, der Dachgesellschaft des hiesigen Steinkohlenbergbaus, arbeiten noch knapp 4000 Menschen. Die Zahl ist seit den Sechzigerjahren stetig zurückgegangen; in der Nachkriegszeit zählte die Branche gut 600 000 Beschäftigte. Hinzu kommen freilich viele Arbeitsplätze bei Lieferanten. So beschäftigen die Hersteller von Bergbaumaschinen noch immer mehr als 11 000 Menschen hierzulande, wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) berichtet. Die Firmen werden ihre großen Bagger, Bohrer und ihre Sicherheitsgeräte fortan fast ausschließlich ins Ausland verkaufen. Auch wenn Deutschland keine heimische Steinkohle mehr abbaut, verdient die Wirtschaft mithin noch immer an der Bergbautechnik.

Was haben die Bergleute nun zu tun?

Die letzten Tonnen Steinkohle haben die Kumpel bereits im vergangenen September gefördert. Seitdem bauen sie die Maschinen unter Tage ab und verfüllen die mehr als 1000 Meter tiefen Schächte. Vom Jahr 2022 an werden dann nur noch knapp 500 Menschen bei der RAG arbeiten. Dann geht es darum, die ehemaligen Bergbauflächen neu zu nutzen. Vor allem aber muss das Unternehmen das Wasser, das in die Schächte eindringt, nach oben pumpen. Zudem muss die RAG Wasser aus den vielen Polderflächen im Ruhrgebiet abpumpen, wo ganze Landstriche einige Meter nach unten gesunken sind. Und wo früher Kokereien standen, muss das Unternehmen das Grundwasser von Schadstoffen reinigen. Diese Ewigkeitsaufgaben werden gut 220 Millionen Euro kosten - jährlich.

Wer zahlt diese Ewigkeitslasten?

Das Ruhrgebiet hat eine besondere Konstruktion ausgeknobelt, damit der Staat nicht die Zeche für den Ausstieg aus dem Bergbau zahlen muss. So hat die RAG ihre zukunftsträchtigen Geschäfte um Chemie, Kraftwerke und Immobilien im Jahr 2007 ausgelagert. Daraus ist der Chemiekonzern Evonik entstanden. Die RAG-Stiftung hält 64 Prozent der Evonik-Aktien und ist auch an anderen Unternehmen beteiligt. Sie trägt von diesem Jahr an die Ewigkeitskosten. Mit den Dividendeneinnahmen hat die Stiftung zuletzt einen Jahresüberschuss von gut 430 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Organisation hatte also noch Geld übrig, das sie für Bildungs- und Kulturprojekte ausgeben konnte. Stiftungschef Bernd Tönjes betont, dass er selbst mal Bergmann war. "Und als solcher stehe ich dafür, dass der öffentlichen Hand die Kosten für die Ewigkeitsaufgaben auf Dauer erspart bleiben", sagte er im gerade abgelaufenen Jahr.

Was machen frühere Bergleute heute?

In den vergangenen 20 Jahren habe die RAG 85 000 Arbeitsplätze abgebaut, bilanzierte Vorstandschef Peter Schrimpf kürzlich bei einer Veranstaltung in Essen. Davon seien etwa 45 000 Bergleute in den Ruhestand oder Vorruhestand gegangen. Die restlichen Beschäftigten habe man in ganz unterschiedliche Branchen vermittelt: Frühere Kumpel arbeiten heute beispielsweise bei Berufsfeuerwehren oder der Bahn, an Flughäfen oder als Krankenpfleger.

Wie viel Steinkohle hat Deutschland zutage gefördert?

Zuletzt brachten hiesige Bergleute noch etwa drei Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr nach oben. Auch diese Menge geht seit Jahren zurück. So förderte Deutschland in den Sechzigerjahren noch mehr als 100 Millionen Tonnen jährlich. Die Steinkohle wird nicht nur in Kraftwerken verfeuert. Sie war und ist auch ein wichtiger Rohstoff etwa für die Stahlindustrie, die mithilfe von Kokskohle in ihren Hüttenwerken Eisenerz zu Roheisen und dann zu Stahl weiterverarbeitet. So kommt es, dass sich die größten Stahlwerke hierzulande im Ruhrgebiet und Saarland angesiedelt haben. Auch sie kommen künftig ohne heimische Kohle aus.

Gehen mit dem Ausstieg aus dem Bergbau auch die Steinkohlekraftwerke vom Netz?

Nein, zumindest noch nicht. Die Betreiber hiesiger Steinkohlemeiler, also Unternehmen wie Steag oder Uniper, kaufen den Großteil ihrer Brennstoffe seit Jahren im Ausland ein, etwa in Russland oder Kolumbien. 2018 wurden noch 13 Prozent des Stroms in Deutschland in Steinkohlekraftwerken erzeugt, wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kürzlich mitgeteilt hat. Allerdings fallen bei der Kohleverstromung deutlich mehr CO₂-Emissionen an als etwa in Gaskraftwerken. Daher diskutiert die Kohlekommission der Bundesregierung derzeit, wie schnell Deutschland seine verbliebenen Kohlemeiler vom Netz nehmen sollte. Der Bund will in diesem Jahr ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.

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SZ vom 03.01.2019
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