Süddeutsche Zeitung

Rhein-Schifffahrt:Wenn der Pegel steigt

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Das Hochwasser schränkt die Schifffahrt auf dem Rhein ein. Die Industrie am Ufer stellt sich darauf ein, dass Extreme zunehmen werden. Noch sind viele Fabriken auf den Wasserweg angewiesen.

Von Christian Bellmann, Elisabeth Dostert und Benedikt Müller-Arnold, Köln/München

Der Kapitän des Kohlefrachters hatte das Hochwasser wohl unterschätzt und lief in der Nacht zum Mittwoch auf dem Rhein bei Düsseldorf auf Grund. Das Hochwasser dieser Tage, verursacht durch Tauwetter und Regen, verändert die Strömungen des Flusses.

Der Rhein ist immer noch ein wichtiger Transportweg für die Industrie, vor allem wenn es um schiere Masse geht. Deshalb entstanden Chemiewerke wie etwa BASF in Ludwigshafen an seinen Ufern oder Deutschlands größtes Stahlwerk von Thyssenkrupp in Duisburg. Schiffe transportieren Rohstoffe und Produkte zwischen der Schweiz und dem Seehafen Rotterdam hin und her. Kräne verladen die Ware direkt in Fabriken.

Doch auf Teilen des Rheins ruht derzeit der Verkehr. In Köln überschritt der Pegel am Donnerstag die Hochwassermarke II von 8,30 Metern. Deshalb wurde die Schifffahrt eingestellt. Denn bei dieser Höhe drohen Schiffe nicht mehr unter den Brücken hindurchzupassen. Schon zuvor ging kaum noch ein Schiffer das Risiko ein, heißt es vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt. Und der Pegel dürfte tagelang hoch bleiben, prognostiziert die Hochwasser-Schutzzentrale.

Covestro hat fertige Produkte abtransportiert

Das fordert nicht nur Kommunen heraus, die Straßen am Ufer absperren und Schutzwände hochziehen. Auch die Industrie bereitet sich vor. Der Kunststoffhersteller Covestro hat vorsorglich Vorratsbehälter freigeräumt und fertige Produkte abtransportiert, berichtet ein Sprecher. So hat der Dax-Konzern mit großen Fabriken in Leverkusen, Dormagen und Krefeld nun mehr Lagerplatz für Rohstoffe und "in diesen Tagen noch kein Problem". Die frühere Bayer-Tochter verfolgt die Pegelstände. Sicherheitshalber habe sich Covestro zusätzliche Kapazitäten in Güterzügen gesichert.

Auch BASF betont, dass das derzeitige Hochwasser keine Auswirkungen auf die Produktion in Ludwigshafen habe. "Die Produktionsanlagen stehen auf Gelände, das über dem Hochwasser-Pegel liegt", sagt eine Sprecherin. Nur ein schmaler Geländestreifen entlang des Rheins liegt niedriger und werde bei Hochwasser geräumt. Dort sei aber keine Produktion angesiedelt. Für die Binnenschifffahrt stelle Hochwasser in der Regel kein Problem dar, da es den Rhein "nur punktuell und temporär" betrifft. "Selbst wenn der Rhein sehr viel Wasser führt, könnten die Schiffe mit voller Ladung fahren", versichert die Konzernsprecherin.

Weitaus größer war die Sorge, als der Rhein im trockenen Sommer 2018 an nie dagewesenen 132 Tagen Niedrigwasser führte; Pegel erreichten historische Tiefststände. Schiffe mussten mit weniger Ladung fahren, die Transportkosten vieler Firmen stiegen. Mehrere Unternehmen korrigierten im Herbst 2018 ihre Gewinnprognosen nach unten und verwiesen dabei auch auf das Niedrigwasser.

In Zukunft bestehe die Gefahr, so die Sprecherin, dass beide Extreme zunehmen: "Durch Klimawandel werden wir mehr Niederschläge im Winter bekommen und weniger im Sommer." Auch die Bundesanstalt für Gewässerkunde geht davon aus, dass es in Deutschland künftig mehr und längere Niedrigwasser-Phasen geben wird. Das Bundesverkehrsministerium hat im Sommer 2019 einen Acht-Punkte-Plan vorgestellt, um Engpässe auf dem Rhein zu vermeiden. Beispielsweise sollen Binnenschiffe mit geringerem Tiefgang gefördert, Vorhersagen von Pegelständen besser werden.

Viele Unternehmen haben sich gegen Überschwemmungen versichert

Nahezu alle großen Unternehmen haben sich gegen das Überschwemmungsrisiko versichert. Die meisten haben bei den Anbietern Versicherungspakete gekauft, die eine große Bandbreite an möglichen Gefahren abdecken, sagt Thomas Markert, Experte beim Industrieversicherungsmakler Aon. Die Deckung gegen Überschwemmung ist ein Bestandteil. Sie leistet nicht nur, wenn ein Fluss oder See über die Ufer tritt, sondern auch bei Überflutungen durch Starkregen-Ereignisse, die in den vergangenen Jahren immer häufiger geworden sind. Ein solcher Schutz ist damit auch für Firmen relevant, die sich nicht in der Nähe von Gewässern befinden.

Die Preise für solche Industriepolicen sind deutlich gestiegen. "Dieser Trend hat sich im Jahr 2020 in der Sachversicherung weiter verschärft, durchschnittlich um etwa 15 bis 20 Prozent", berichtet Thomas Olaynig, Geschäftsführer beim Maklerhaus Marsh: "Für manche extrem durch Naturgefahren gefährdete Lagen ist es inzwischen sehr schwierig geworden, Deckungsschutz zu bekommen." Die klassischen Industrieversicherungen greifen allerdings nur dann, wenn es einen Sachschaden gibt. Verluste wegen ausbleibender Lieferungen, die nicht einfach vom Wasser auf Straße oder Schiene verlagert werden können, gehören nicht dazu.

Es gibt allerdings Alternativen, zum Beispiel sogenannte parametrische Versicherungen. Bei Wetter- und Klimaereignissen können sie ein geeignetes Absicherungskonzept sein", sagt Olaynig. Unternehmen bekommen dann auch ohne Sachschaden Geld ausgezahlt, wenn der Fluss einen zuvor fest definierten Pegelstand über- oder unterschreitet. Der Nachteil: "Diese Verträge sind im Verhältnis zu klassischen Industriedeckungen relativ teuer, und es gibt große Preisunterschiede", sagt Aon-Experte Markert.

Ein stückweit haben die Unternehmen gelernt, mit dem Hochwasser umzugehen. Der Mineralölkonzern BP weicht derzeit auf andere Transportmittel als das Schiff aus; der Konzern betreibt große Raffinerien sowie die Tankstellen der Marke Aral. "Zudem sind die Lagerbestände aktuell hoch", sagt ein Sprecher. Die Versorgung der Kunden sei daher "jederzeit sichergestellt". Es gebe bislang keine Engpässe an den Tankstellen, heißt es von Aral.

Rheinabwärts ist die Lage noch entspannter

Je weiter man rheinabwärts blickt, desto entspannter ist die Lage noch: Zwischen Duisburg und den Niederlanden kommt die Scheitelwelle des Hochwassers später an; dort sind auch die Brücken höher als in Köln. Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp lässt täglich etwa 60 000 Tonnen Kohle und Erz aus Rotterdam nach Duisburg schippern, um daraus Roheisen zu kochen.

Noch können die Schiffe den Hafen wie gewohnt ansteuern, heißt es von Thyssenkrupp. Der Pegel in Duisburg liege deutlich unter dem dortigen Grenzwert. "Die Nähe zum Rhein ist für unser Stahlwerk von strategischem Wert", sagte Arnd Köfler einmal, Vorstandsmitglied der Stahlsparte. Nachdem dem Konzern im Niedrigwasser 2018 Millionen-Einnahmen entgingen, ersetzt er seine Flotte nun nach und nach durch Schiffe mit verändertem Rumpf und Heckantrieb. Auch hat Thyssenkrupp nach eigenem Bekunden die Rohstoff-Lager optimiert und erweitert. Neben einem festen Kohle-Zug hat der Konzern die Option auf einen zweiten Transport per Schiene.

Den Havaristen bei Düsseldorf konnte ein zweites Rheinschiff sichern und mit Stahlseilen aus der Schieflage befreien.

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