Süddeutsche Zeitung

Quelle: Madeleine Schickedanz:Das Phantom aus Fürth

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Ausgerechnet an ihrem 66. Geburtstag erlebt Madeleine Schickedanz, wie mit Quelle jenes Familienerbe untergeht, mit dem sie nie umzugehen wusste.

Uwe Ritzer, Nürnberg

Nein, sagt ihre Mitarbeiterin höflich, aber knapp, Frau Schickedanz werde sich zum Untergang von Quelle öffentlich nicht äußern. Auch Fragen seien sinnlos, denn sie werde sie nicht beantworten. An ein Interview mit ihr ist ohnehin nicht zu denken.

Fast scheint es, als wollte Madeleine Schickedanz das Unglück wegschweigen. Selbst in der bittersten Stunde des einstigen Familienunternehmens bleibt dessen Erbin das rätselhafte und verschlossene Phantom.

Irgendwo verkrochen in einer ihrer schicken Villen in Hersbruck bei Nürnberg, in Fürth, St. Moritz oder sonstwo. Hermetisch abgeschirmt von Überwachungskameras, hohen Bäumen und Sträuchern, diskretem Hauspersonal und wohl auch ihrer Familie.

So war es eigentlich immer. Vor allem dann, wenn draußen in der bösen, großen Versandwelt um ihre Quelle die Stürme tobten. Und sie tobten oft in den vergangenen Jahrzehnten.

Welch eine Ironie des Schicksals, dass Quelle just an dem Tag untergeht, an dem Madeleine Schickedanz ihren 66. Geburtstag feiert. Und ihrer Mutter Grete gedenkt, die ebenfalls an einem 20. Oktober geboren wurde, anno 1911.

So rundet sich auf geradezu bizarre Weise die Geschichte einer Familie und vor allem einer Erbin, die nie Erbin sein wollte. Sie schaffte es aber auch nicht, ihr Erbe loszuwerden und einen klaren Trennungsstrich zu ziehen.

Lieber delegierte sie es, schob es weg von sich. Meistens zu ihren Ehemännern. Das war nichts Halbes und nichts Ganzes. In ihrer fränkischen Heimat sagt man mit ebenso viel Spott wie Mitleid, Madeleine Schickedanz habe beruflich und privat selten Glück gehabt mit Männern.

Auch Thomas Middelhoff war ihr Mann. Nicht privat, wohl aber soll sie ihn persönlich dazu gedrängt haben, im Mai 2005 vom Aufsichtsratsvorsitz an die Vorstandsspitze von Arcandor zu wechseln. Viele Kritiker sehen heute in Middelhoff einen, wenn nicht sogar den Totengräber des Konzerns.

Madeleine Schickedanz aber lässt auf ihn nichts kommen. Geradezu unfair seien die Vorwürfe gegen Middelhoff, echauffierte sie sich im Juli in einem Zeitungsinterview. Es war das letzte Lebenszeichen der Quelle-Erbin.

Ein Interview, das für sie zum Fiasko geriet. Weil sie jammerte, nun beim Discounter einkaufen und in der Pizzeria um die Ecke essen zu müssen. Von 600 Euro im Monat lebe sie, weil ihr Drei-Milliarden-Euro-Aktienpaket nur noch 27 Millionen Euro wert sei. Und Rente bekomme sie auch keine. Arme, reiche Madeleine.

Sie ist, ob sie es will oder nicht, die große tragische Figur im Quelle-Drama. Im Luftschutzkeller unter der Nürnberger Frauenklinik hat ihre Mutter Grete sie zur Welt gebracht. Madeleine wuchs bis zur vierten Grundschulklasse in Hersbruck auf, einer beschaulichen Kleinstadt 30 Kilometer östlich von Nürnberg. Das Kind litt, als die Familie nach Fürth umzog. In eine prachtvolle Villa, deren riesiger Park Madeleine gleichsam vom wirklichen Leben abschirmte.

Kein Leben für die Tochter

Das Zuhause ihrer Eltern war ohnehin die schöne bunte Warenwelt aus dem Quelle-Katalog. Gustav und Grete Schickedanz lebten für das Unternehmen, weniger für ihre Tochter.

1923 hatte der Kaufmannslehrling in Fürth eine Großhandlung für Kurz- und Wollwaren gegründet. Kurz darauf wurde daraus der Quelle-Versandhandel. 1932 brachte er ein Druckwerk auf den Markt, das "Neueste Nachrichten" hieß, tatsächlich aber ein erster Quelle-Katalog war. Die Firma wuchs schnell. Gegen Kriegsende aber, Madeleine war gerade geboren, zerstörten alliierte Fliegerbomben die Betriebsstätten. Die Kundenkartei verbrannte.

Dann 1946 der Neustart. Als ehemaliges NS-Parteimitglied galt Gustav als politisch belastet. Also kurbelte Grete mit einem kleinen Kaufhaus in Hersbruck die Geschäfte wieder an.

Das ehemalige Lehrmädchen war seine zweite Ehefrau geworden. Nach Gustavs Tod 1977 übernahm sie die Quelle-Führung. Alle im Unternehmen nannten sie nur "die Chefin". Eine Über-Mutter für Madeleine und die Firma. Bis zuletzt lud sie die Manager zu sich in die Fürther Villa ein, um jedem persönlich die Weihnachtsgratifikation auszuhändigen. Die waren dankbar und gerührt.

Als Grete 1994 starb, hatte das Quelle-Imperium bereits erste Haarrisse. Nur wollte das niemand wahrhaben. Oder es merkte tatsächlich keiner. Tochter Madeleine jedenfalls ganz sicher nicht.

Ihre Mutter taufte einst einen Spezialkatalog auf ihren Namen, und ihr Vater drängte bis zu seinem Tod, sie möge doch in der Firma mitarbeiten. Aber die Tochter wollte nicht. Ihr Ideal war ein Leben als fürsorgliche Familienmutter. Sie brachte vier Kinder zur Welt. Als Tochter Caroline 1982 an Leukämie erkrankte, kümmerte sie sich jahrelang aufopferungsvoll um das Kind. Das Mädchen wurde gesund, und Madeleine Schickedanz gründete eine Stiftung für krebskranke Kinder.

BWL-Studium abgebrochen

Sie habe sich immer in der Firma engagiert, "aber nie im Unternehmen gearbeitet", sagte sie Jahre später einmal in einem ihrer ganz seltenen Interviews. Ein Betriebswirtschaftsstudium hatte sie abgebrochen. Offenkundig hat sie auch nie die Frage umgetrieben, ob man als faktische Eigentümerin oder Großaktionärin einen solchen Giganten wie Quelle einfach sich selbst und anderen überlassen konnte.

Und seien es die eigenen Ehemänner. Der erste, Hans-Georg Mangold, war ihre Jugendliebe. Ein Nachbarsjunge, Sohn eines Fürther Spielwarenherstellers. Madeleine heiratete ihn mit 22 Jahren. Mangold machte Karriere im Quelle-Konzern. Als sich das Paar trennte, musste er auch seinen Schreibtisch räumen.

Es rückte Wolfgang Bühler nach, im Unternehmen und privat. Ein Industriemanager, der von Haus aus wenig vom Versandgeschäft verstand. Was ihn nicht daran hinderte, nach Gretes Tod 1994 ganz an die Spitze zu rücken. Nach der Scheidung 1997 war für ihn auch bei Quelle Schluss. Ehemann Nummer drei, Leo Herl, ist bis heute an Madeleines Seite und war bis zur Insolvenz am 9. Juni 2009 ihr Interessenvertreter im Arcandor-Aufsichtsrat.

Um zu erfahren, wie es so weit kam, muss man in das Jahr 1999 zurückblenden, in dem viele im Rückblick den Anfang vom Ende sehen. Damals schlossen sich das Versandhaus Quelle und die Handelskette Karstadt zusammen.

Man sagt, Madeleine habe die Fusion im Hintergrund mit angeschoben. Ob aus eigenem Antrieb oder auf Anraten von Einflüsterern, dies ist nicht bekannt. Eine Einheit wurde der Konzern jedoch nie. "Die Quelle-Leute sagten, wir haben Karstadt geschluckt", erinnert sich ein inzwischen pensionierter Manager. "Und die Karstadt-Leute dachten genau umgekehrt."

Es begann eine Zeit, in der Manager und Strategien so atemberaubend schnell wechselten, dass die Mitarbeiter bisweilen nicht mehr wussten, wie ihnen geschah. Was heute galt, war morgen wieder anders.

Und dann war da das Problem Neckermann. Karstadt hatte den Quelle-Konkurrenten mit in die Firmenehe gebracht. Neckermann aber fischte die Kunden im selben Teich wie Quelle. Beide Marken wurden unter einem Management vereint - und kannibalisierten sich doch. Dazu kamen neue Probleme im Umgang mit preisaggressiven Discountern und Elektronikmärkten, deren Kampagnen viel pfiffiger waren als jene der braven Quelle.

Die "scheue Milliardärin"

Wie viel von alledem hat Madeleine Schickedanz überhaupt mitbekommen? Sie, die bis zuletzt Jeans, Pantoffeln und Küchengeräte bei Quelle bestellte? Wie viel wollte sie überhaupt wissen? Reicht es, wenn sie sich mit der Begründung aus der Verantwortung redet, die vergangenen Jahre ja nur Großaktionärin, aber keine klassische Eigentümerin mehr gewesen zu sein? Noch im Herbst 2000 hielt ihre Familie mehr als 49 Prozent der Aktien an der Karstadt-Quelle AG.

Für die Öffentlichkeit aber war sie in erster Linie die "scheue Milliardärin", als welche sie die Boulevardpresse bei den Salzburger Festspielen oder auf Wagners Grünem Hügel in Bayreuth entdeckte.

Die dabei entstandenen Fotos zeigen nicht selten eine merkwürdig verhuschte Person. Als wollte die Frau auf dem Bild am liebsten davonlaufen. Sie ist keine taffe, knallharte Geschäftsfrau wie Maria-Elisabeth Schaeffler, die andere reiche Witwe aus Franken.

Madeleine Schickedanz bleibt auch im Untergang von Quelle ein Rätsel. Kraft ihres Namens und ihres Aktienpaketes war sie bis zum Tag der Insolvenz am 9. Juni 2009 mehr als eine bloße Kulissenschieberin im Hintergrund. Die Regisseurin, die sie hätte sein sollen, war sie aber nie.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2009/pak
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