Süddeutsche Zeitung

Brauchen wir noch Bankfilialen?:Die Kunden stimmen mit den Füßen ab - und haben das längst getan

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Wenn sich Bankfilialen nicht mehr rentieren, weil kaum einer kommt, müssen die Verantwortlichen sie schließen. Alles andere wäre fahrlässig.

Kommentar von Harald Freiberger

Man muss nicht groß Mitleid haben mit den Chefs deutscher Sparkassen oder Volks- und Raiffeisenbanken. Aber es lohnt sich vielleicht, für einen kurzen Moment ihre Perspektive einzunehmen: Sie führen also ein Geldhaus mit einer Zentrale und, je nach Größe, fünf, 15 oder 50 Filialen. Sie sind stark in ihrer Region verwurzelt und haben eine lange Tradition, doch aus mehreren Gründen ist das Geschäft in den vergangenen 20 Jahren schwieriger geworden. Die niedrigen Zinsen haben die Gewinne abschmelzen lassen, immer mehr Kunden kaufen günstige ETFs statt teurer Fonds, die den Instituten Geld bringen, immer mehr Kunden machen ihre Bankgeschäfte online, immer weniger tauchen in den Filialen auf. Die Banker bekommen ihre Kunden oft gar nicht mehr zu Gesicht, um mit ihnen ins Geschäft zu kommen.

Jeder Chef, jede Chefin einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank kann davon berichten: von Filialen in kleinen Orten oder Stadtteilen, in denen aus Sicherheitsgründen zwei Mitarbeiter den ganzen Tag hinter dem Schalter stehen müssen, und dann kommen vielleicht vier, fünf Kunden. Und von denen sind drei ältere Menschen, die ihre Rente am Schalter abheben, weil sie den Geldautomaten nicht bedienen können. Die Einnahmen der Filiale gehen gegen null, während Kosten fürs Personal, für die Miete und für die Bestückung des Geldautomaten anfallen. Man muss kein eiskalter Kapitalist sein, um zu erkennen, dass ein solches Geschäftsmodell auf Dauer nicht funktionieren kann.

Bankfilialen ereilt dasselbe Los wie viele Gasthäuser, Metzgereien und Bäckereien in kleinen Orten, die sich nicht mehr rentieren, weil die Leute lieber billig beim Aldi im Gewerbegebiet der nächstgelegenen Kreisstadt einkaufen: Sie werden geschlossen. Das Filialsterben ist keine neue Entwicklung, es hält schon seit 30 Jahren an. Heute gibt es in Deutschland nicht einmal mehr halb so viele Bank-Zweigstellen wie in den 1990er-Jahren.

Die Zahl der Bankfilialen in Deutschland wird weiter sinken

In den vergangenen Jahren hat sich die Tendenz noch einmal verschärft, und eine kleine Bank in Hessen treibt die Entwicklung nun auf die Spitze: Die Raiffeisenbank Hochtaunus schließt alle ihre vier Filialen, es gibt keinen Schalter mehr und kein Bargeld, nur noch Online-Konten und Beratung in der Zentrale, zudem baut die Bank die Video- und Telefonberatung aus. Ihr Geld will sie vor allem mit gewerblichen Immobilienfinanzierungen verdienen, und zwar bundesweit.

Es ist ein radikaler Schritt, der in der Bankenlandschaft für Aufsehen sorgt. Der Chef des Instituts sieht sich als Vorreiter und prophezeit, dass es gerade kleinere Geldhäuser in absehbarer Zeit auch so machen werden wie er. Die Ansicht ist extrem, denn wenn eine Bank ihre Filialen schließt, beraubt sie sich ihrer Existenzgrundlage, und nicht jedes Institut kann ein bundesweites Ersatzgeschäft aufziehen. Was aber so gut wie sicher ist: Die Zahl der Bankfilialen in Deutschland wird weiter sinken. Für die Verantwortlichen wäre es geradezu fahrlässig, unrentable Zweigstellen am Leben zu erhalten.

Die Kunden stimmen mit den Füßen ab, und wenn sie nicht mehr in die Filialen kommen, dann brauchen sie diese mehrheitlich offenbar auch nicht. Gerade jüngere Leute erledigen ihre Bankgeschäfte online und zahlen ihre Einkäufe mit Karte. Viele von ihnen haben in ihrem ganzen Leben noch keine Bankfiliale von innen gesehen.

Die Versorgung der Bürger mit Bargeld war immer selbstverständlich eine Aufgabe der Kreditinstitute. Doch sie kostet Geld, die meisten Geldhäuser subventionierten dies mit Einnahmen aus anderen Bereichen quer. Sichtbar wurde das erst in den vergangenen Jahren, weil die Einnahmen nicht mehr so sprudeln und die Banken mehr auf ihre Kosten achten müssen. Die Bundesbank hat sich zudem teilweise von der Bargeldversorgung verabschiedet und den Banken zusätzliche Kosten aufgebürdet.

Es wäre fair, über diese Aufgabenverteilung eine Diskussion zu führen. Bargeld ist wichtig. Es kann kein Ziel sein, den Zahlungsverkehr komplett Kreditkartenfirmen und Tech-Konzernen zu überlassen, allein schon aus Datenschutzgründen. Zumal es auch Geldautomaten ohne Filiale gibt und selbst Supermärkte inzwischen Geld auszahlen. Wer fordert, dass Banken ihr Filialnetz möglichst in der bestehenden Dichte erhalten müssen, schon allein um ältere Menschen nicht vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen, der bürdet ihnen zu viel Verantwortung auf.

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