Süddeutsche Zeitung

Neurotechnik:Der Mensch denkt - die Maschine wird gelenkt

Lesezeit: 4 Min.

Facebook versucht es mit Hirnscans, Elon Musk will Chips durch die Blutbahn schicken: Menschen sollen Computer in Zukunft mit ihren Gedanken steuern - und zwar ohne dabei ihre Stirn mit Gel zu verschmieren.

Von Kathrin Werner, Austin

Er braucht nichts als die Macht seiner Gedanken. Er hebt einen virtuellen bunten Ball auf und wirft ihn fort. Er tippt einen Code in ein virtuelles Türschloss ein. Adam Molnar, Vertriebschef der Neurotechnologie-Firma Neurable, bewegt sich durch ein Computerspiel. Aber er rührt dabei keinen Finger. Molnar trägt eine Virtual-Reality-Brille und eine Kappe auf dem Hinterkopf, die seine Gehirnströme misst und in Bewegungen in dem Spiel umwandelt. Sein Körper bleibt still, selbst seine Gedanken muss er nicht sammeln. "Es passiert noch, bevor ich richtig darüber nachdenke", sagt er bei einer Vorführung auf der Konferenz South by Southwest (SXSW) vor wenigen Wochen. "Man denkt ja auch nicht aktiv daran, seinen Arm zu bewegen, sondern tut es einfach."

Die Maus, die Tastatur oder der Touch-screen - wenn es nach Neurable geht, sind die Werkzeuge, mit denen Menschen am Computer Befehle eingeben, Dinge der Vergangenheit. Das Start-up aus Cambridge in Massachusetts arbeitet an einem Hirn-Computer-Interface, einer Schnittstelle zwischen Gehirn und Maschine, die Gedanken liest und umsetzt. Das helmartige Gerät funktioniert per EEG, weil schon die Vorstellung einer Bewegung oder eines Worts messbare Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität auslöst. "Das System arbeitet nicht reaktiv, sondern proaktiv", sagt Neurable-Gründer und Chef Ramses Alcaide. "Es kann die Information aus dem Gehirn schon ablesen, bevor ich überhaupt weiß, dass ich etwas tun will."

Wissenschaftler arbeiten seit Jahrzehnten an der Technik und haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Im Labor klappt es schon ganz gut, dass Menschen nur mit der Kraft ihrer Gedanken Texte schreiben oder Prothesen bewegen. Allerdings ist der Prozess sehr langsam, und nahezu alle Hirn-Computer-Schnittstellen funktionieren bislang mit einer feuchten Gelkappe mit Dioden, die man über den Kopf zieht. Das ist nicht gerade Technik, mit der man durch die Stadt laufen oder abends auf dem Sofa Computer spielen möchte. Viel zu teuer ist sie auch.

"Nur durch Denken könnte man eine Textnachricht verschicken."

Neurable dagegen will ein Gerät entwickelt haben, das deutlich bequemer ist und ohne Gel auskommt, die Elektroden auf der Kopfhaut funktionieren auch trocken. Eingebaut ist auch Technik, die die Augenbewegungen auswertet - eine Entwicklung der Firma SMI aus Teltow bei Berlin. Nach dem noch vergleichsweise klobigen Helm, den Adam Molnar vorführte, arbeitet Neurable nun an einem winzigen Utensil, das man im Ohr tragen kann - um Implantate oder andere Cyborg-Technik geht es also nicht. Genaue Angaben zum Preis macht Neurable nicht, auch nicht zum Termin für den Verkaufsstart. In speziellen Spielhallen für Virtual-Reality-Spiele sollen Interessierte aber schon in diesem Jahr Bälle fliegen lassen können wie Molnar in dem Computerspiel, das Neurable zusammen mit der spanischen VR-Firma Estudiofuture entworfen hat. Externe Entwickler können eine Vorabversion der Technik schon jetzt bei Neurable anfordern, um dafür Spiele, Apps oder andere Anwendungen zu erschaffen.

Körperliche Fähigkeiten spielen in der neuen Welt der Brain-Computer-Interfaces keinerlei Rolle mehr, es ist egal, ob der Mensch etwa sehen oder hören oder die Hände schnell genug bewegen kann - was für Computerspiele oft sehr wichtig ist, erklärt Alcaide, ein promovierter Neurowissenschaftler und Elektroingenieur. "Das System ist offen für alle, Alt, Jung, Computerspiel-Profis oder Neueinsteiger." Man müsse kein Handbuch lesen, das Gerät zieht sich die Informationen aus dem Gehirn quasi von selbst. Das Headset stellt sich nach dem Aufsetzen nach wenigen Minuten auf den Träger ein.

Wichtiger Teil der Technik ist nicht nur die Hardware, sondern auch die Software. Künstliche Intelligenz analysiert die Aktivität des Gehirns und setzt sie in Befehle um. Sie lernt, wie es im Gehirn des Anwenders aussieht, wenn er sich konzentriert. Sieben Elektroden messen ein spezielles Gehirn-Signal namens P300. Dieses Signal entsteht bei Überraschung oder bei einem Wiedererkennen. Wenn ein Mensch an das Wort "Ball" denkt und auf eine Reihe von Buchstaben blickt, die in zufälliger Abfolge auf einem Bildschirm leuchten, schickt das Gehirn zum Beispiel ein P300-Signal ab, wenn der Buchstabe B erscheint.

Neurable ist einer der Vertreter der Gehirn-Auslese-Branche, der am weitesten vorangeschritten ist. Aber das Start-up ist bei Weitem nicht das einzige in dem Gebiet. Die Firma Rythm aus San Francisco hat ein EEG-Stirnband erfunden, das Gehirnströme im Schlaf misst und zum richtigen Zeitpunkt im Schlafzyklus beruhigende Geräusche abspielt. Kürzlich hat der Autobauer Nissan ein "Brain-to-Vehicle"-Headset vorgestellt, das die Gehirnströme des Autofahrers misst, um herauszufinden, was er als Nächstes tun wird - bevor er anfängt, es zu tun. So soll ein Auto schneller reagieren können als die natürliche Reaktionszeit eines menschlichen Fahrers. In Tests hätten selbst erfahrene Autofahrer besser abgeschnitten, wenn sie das Headset trugen, als ohne, gibt Nissan an.

Unglaublicher Fortschritt für körperlich Behinderte

Auch Facebook will Hirnströme lesen lernen, von außen mithilfe von Licht. Mit der Technik sollen Menschen schneller tippen können. Neben diesen Anbietern, die auf nicht invasive Methoden setzen, arbeiten auch etliche Unternehmen an Chips, die in das Gehirn eingesetzt werden. Elon Musk, Gründer von Tesla und Space-X, stellte vor gut einem Jahr seine neue Firma Neuralink vor. Deren Chips sollen über die Blutbahnen ins Gehirn gelangen und Menschen nur per Gedanken auf das Internet zugreifen lassen.

Neurable ist deutlich bodenständiger. Laut Firmenchef Alcaide liegen die größten Chancen seiner Erfindung nicht in Computerspielen, sondern in völlig "langweiligen" Anwendungen wie in Fabriken. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein Arbeiter von einem sicheren Ort aus per Gedankenübertragung einen Industrieroboter steuert. Auch die Kommunikation zwischen Menschen will Neurable revolutionieren - Gedankenübertragung werde Wirklichkeit. "Nur durch Denken könnte man zum Beispiel eine Textnachricht verschicken", sagt Alcaide. Solch eine Technik, so sie denn funktioniert, wäre ein kaum vorstellbarer Fortschritt auch für körperlich Behinderte wie den Physiker Stephen Hawking, der nicht mehr selbst sprechen konnte und bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen einen Spracherkennungs- und Sprech-Computer mit winzigen Bewegungen seiner Wangenmuskeln steuerte.

Die neue Technik stehe noch ganz am Anfang. Deshalb erwartet Alcaide zunächst auch Widerstand von Menschen, die sich vor der Verbindung von Hirn und Computer fürchten. "Aber früher hatten sie auch Angst, Dinge mit der Kreditkarte im Internet zu kaufen. So ist das eben mit jeder neuen Technik." Sobald die Menschen die Vorteile sehen, die sein Brain-Computer-Interface bringe, werde sich die Abwehr legen. Außerdem lese das System nur spezifische Gehirnwellen aus, die mit einer konkreten Aktivität in einer konkreten Umgebung verbunden seien - zum Beispiel dem Wurf eines bunten Balles. "Wir können damit eine Menge coole Sachen machen", sagt Alcaide. "Aber wir saugen keine Informationen ab, die zu persönlich wären, um sie zu teilen."

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Quelle:
SZ vom 18.04.2018
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