Süddeutsche Zeitung

Negativzinsen:Warum eine kleine Raiffeisenkasse bundesweit Aufsehen erregt

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Von Harald Freiberger, München

Es war im Juni, als für Josef Paul feststand, dass es so nicht weitergehen kann. "Für jede Million, die mir Kunden bringen, zahl' ich im Jahr 4000 Euro drauf", sagt der Chef der Raiffeisenbank Gmund. Immer mehr haben ihm die Kunden zuletzt gebracht. Geld, das er nicht verleihen oder besser verzinst anlegen kann. Er muss es bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken, und die verlangt schon seit einiger Zeit einen Negativzins von 0,4 Prozent, auch "Strafzins" genannt.

Ende Juni schrieb Paul dann jene 139 Privatkunden an, die bei ihm mehr als 100 000 Euro kurzfristig angelegt haben. Insgesamt geht es um eine Summe von 40 Millionen Euro. "Wir reden mit diesen Kunden, wie wir die Liquidität sinnvoller gestalten", drückt Paul es aus. Die Bank könne den Negativzins jedenfalls nicht mehr alleine tragen. Deshalb bietet er ihnen an, in andere, für die Bank rentablere Anlageformen zu wechseln - oder die 0,4 Prozent selbst zu zahlen. Wer das nicht wolle, müsse eben die Bank verlassen.

Die Raiffeisenbank am Tegernsee ist damit die erste Filialbank in Deutschland, die die Negativzinsen der EZB an Privatkunden weitergibt. Bisher gab es Negativzinsen nur für Firmen, die viel Geld bei der Bank aufbewahren oder für Privatleute mit sehr hohem Vermögen - zum Beispiel bei der Commerzbank, bei der DZ Bank oder auch bei der Skatbank, der Internettochter einer Genossenschaftsbank in Thüringen. Nun fällt ein weiterer Dominostein, und viele Bankkunden fragen sich, ob sie auf ihr Erspartes auch bald Negativzinsen zahlen müssen. Deshalb erregt der Fall Gmund bundesweit Aufsehen.

Bankchef Paul versteht die Aufregung nicht so recht. "Das ist in meinen Augen ein ganz normaler Vorgang, dass wir die Kosten, die wir selbst haben, nach dem Verursacherprinzip weitergeben", sagt er. Im Übrigen stört ihn der Begriff "Strafzins", er spricht lieber von einem "Verwahrentgelt", er nennt es auch "eine Art Parkgebühr". Wenn man sein Auto im Parkhaus abstelle, müsse man schließlich auch zahlen, und zwar umso mehr, je länger man drin bleibe. Und er betont, dass "Kunden wie du und ich" nicht betroffen seien.

"Natürlich reden andere Banken darüber, die ein oder andere wird das sicher auch machen."

Pauls Büro liegt in Blickweite des Tegernsees, der nach dem vielen Regen der letzten Tage gerade Hochwasser führt. Das Bild passt auch für seine Bank, findet der Chef: "Es ist zu viel Liquidität da." In den letzten Jahren seien viele Vermögende mit ihrem Geld zu ihm gekommen. Das hat zum einen mit der Gegend zu tun, die viele Reiche und Prominente als Wohn- oder Alterssitz wählen. Hinzu kommt: "Bei uns halten sie das Geld offenbar für sicher, weil Genossenschaftsbanken einen eigenen Sicherungsfonds haben", sagt Paul.

Bis vor wenigen Jahren konnte er dieses Kundengeld in deutsche Staatsanleihen anlegen und bekam dafür drei Prozent Zinsen. Doch damit ist es vorbei, auch die Rendite der Staatsanleihen ist negativ. Als Kredite an Firmen kann Paul das Geld nicht weiterverleihen. "Wir haben nur Gastronomie und Handwerk rund um den See", sagt er. Der größte Arbeitgeber, der Geldscheindrucker Giesecke & Devrient, der bei Gmund eine Papierfabrik betreibt, wickle seine Geldgeschäfte nicht über die kleine Raiffeisenbank mit 45 Mitarbeitern ab.

Und so kommt es, dass in Gmund 115 Millionen Euro Kundeneinlagen nur 75 Millionen verliehenen Krediten gegenüberstehen. Ergibt einen Überhang von 40 Millionen Euro, der Paul im Jahr 160 000 Euro Negativzins kostet - und das bei einem Gewinn von 250 000 Euro, den die Bank 2015 auswies. "Wir können das nicht mehr selbst tragen, uns hat's das Geschäftsmodell zerrissen", sagt der Bankchef.

Deshalb hat er jene 139 Kunden angeschrieben; sie repräsentieren genau den Einlagenüberhang von 40 Millionen Euro. Bis Ende August haben sie Zeit, sich zu entscheiden. Die Aktion trägt erste Früchte. "Zehn Millionen Euro sind schon weg", sagt Paul. Ein Teil werde in Aktien, Bausparverträge oder andere Produkte umgeschichtet, es komme aber auch vor, dass Kunden die Bank verlassen. "Einer ist mit zwei Millionen Euro zur Sparkasse gegangen, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die darüber glücklich ist", sagt Paul.

Die Bankenverbände betonen, Gmund sei ein Einzelfall. "Uns sind derzeit keine weiteren Banken bekannt, die einen Auslagenersatz für Einlagen von Privatkunden berechnen", heißt es beim Genossenschaftsverband Bayern. Uwe Fröhlich, Chef des Bundesverbands BVR, sagte im Juni: "Die Schwelle, ins Negative zu gehen gegenüber dem Privatkunden, ist sehr, sehr hoch." Die Konkurrenz sei hart, die Unternehmen fürchteten, Kunden zu verlieren. Paul, der Bankchef vom Tegernsee, aber sagt: "Natürlich reden andere Banken darüber, die eine oder andere wird das sicher auch machen."

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SZ vom 12.08.2016
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