Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Familienaufstellung

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Es sind unruhige Zeiten für den Keksfabrikanten Bahlsen: Jetzt sucht die Familie einen Chef für die Firma, den ersten Familienfremden. Doch so einfach ist das nicht.

Von Katharina Kutsche

Wann ist der richtige Zeitpunkt, loszulassen - und gibt es den genau passenden Moment überhaupt? Diese Fragen stellt sich die Familie um Werner M. Bahlsen schon lange. 1889 wurde das hannoversche Familienunternehmen gegründet, bis 2018 führte Werner M., Enkel des Gründers Hermann Bahlsen, die Geschäfte des Keksherstellers. Schon seit einigen Jahren arbeiten der heute 70-Jährige, seine Frau und die vier Kinder daran, das Unternehmen neu auszurichten. "Mein Vater hat sich viel zu spät zurückgezogen, das wollte ich so nicht machen", sagt Bahlsen. Deswegen plane die Familie den Wechsel gemeinsam mit zwei Generationen und deren Perspektiven. "Alle wissen um ihre Verantwortung."

Einfach ist der Weg allerdings nicht, es war ein turbulentes Jahr 2019 für Bahlsen. Erst gab es erneut einen Wechsel in der Geschäftsleitung; dann sorgte Tochter Verena für einen Skandal, als sie den Umgang des Unternehmens mit den Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs doch arg beschönigte. Und schon seit Monaten sucht Werner M. (das M steht für Michael und unterscheidet ihn von seinem Vater und Vorgänger Werner) nach jemandem, der in der Geschäftsführung den Vorsitz übernimmt.

"Mein Nachfolger muss kein Konditor sein", sagt Bahlsen, der diesen Beruf erlernte und dann Wirtschaft studierte. "Aber er sollte ein Gefühl für Markenunternehmen haben, denn das ist unsere große Stärke." Die Firma will eine globale Marke werden und vor allem in Amerika und Asien wachsen, da könne man noch zulegen. Zudem müssen in der Keksfabrik etwa Umweltfragen neu gedacht werden - welche Rohstoffe werden in der Produktion verwendet, wie werden die Produkte verpackt?

Für eine erfahrene Führungskraft könnte das eine interessante Aufgabe sein. Wenn da nicht die doch etwas besondere Rolle der Familie wäre. Werner M. sitzt seit seinem Rückzug dem Verwaltungsrat der Gesellschaft vor. Seinen vier Kindern zwischen 24 und 31 Jahren hat er vor ein paar Jahren 95 Prozent der Unternehmensanteile übertragen, er selbst hält die verbleibenden fünf Prozent. Die zwei Töchter und zwei Söhne seien sehr interessiert am Betrieb, haben aber mit dem operativen Geschäft bisher nichts zu tun und reden auch niemandem rein. Und der Vater stellte jetzt im Handelsblatt klar, dass das vorerst auch so bleibt.

Die Neubesetzung des Postens zieht sich also, doch Bahlsen sagt, er sehe das ganz gelassen. "Die Übergabe ist die Königsdisziplin des Familienunternehmens. Eine Aktiengesellschaft hat es da leichter." Er habe Gespräche mit spannenden Kandidaten geführt: "Wir lassen uns da aber auch Zeit, weil es der erste familienexterne Vorsitzende der Geschäftsführung in der Unternehmensgeschichte sein wird."

Besonders positiv kamen die Geschäfte des Keksfabrikanten in den vergangenen Monaten aber nicht weg - warum, das ist dem ehemaligen Chef nicht ganz klar. Zwar sei es korrekt, dass Bahlsen das Geschäftsjahr 2018 mit einem Minus von rund drei Millionen Euro und einem Umsatzrückgang von 2,5 Prozent auf 545 Millionen Euro abschloss. Aber das hänge mit dem Verkauf eines Werks im niedersächsischen Schneverdingen zusammen; eine Sonderabschreibung, die nichts mit dem operativen Geschäft zu tun habe, so Bahlsen: "Wir sind sehr ordentlich profitabel."

Die Traditionsfirma will auch Food-Promoter sein. Mit dem Start-up Hermann's und dem Inkubator Kitchentown will man jungen Gründern Raum zum Experimentieren geben. Das ist auch für die eigene Produktion wichtig: Das letzte wirklich neue Produkt, der Keksriegel Pick up, kam 1999 auf den Markt - seitdem sind Neuerungen eher Variationen bestehender Produkte.

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SZ vom 22.01.2020
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