Süddeutsche Zeitung

Grüner Wasserstoff:"Der Champagner unter den Energieträgern"

Lesezeit: 3 min

Erneuerbare Energien sind die Zukunft. Doch wie viel fossile Brennstoffe dürfen jetzt noch verbrannt werden und was hilft gegen den Klimawandel?

Von Helmut Martin-Jung

Es ist schon eine verzwickte Situation: Da ist auf der einen Seite der Klimawandel, diese gewaltige Menschheitsaufgabe. Und da ist auf der anderen dieser so unsinnige wie brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er zwingt den Westen dazu, noch länger darauf zu setzen, was die Überhitzung des Planeten ausgelöst hat: fossile Energieträger. Für Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ist daher klar: "Wir zahlen jetzt den Preis der verschleppten Energiewende", sagt sie. Die Konsequenz, die sich sich daraus ergibt, ist für sie logisch. Die erneuerbaren Energien müssten dringend und noch viel schneller ausgebaut werden, fordert Kemfert. Das, sagt sie, mache den Strom dann mittel- und langfristig auch wieder billiger für die Verbraucher.

Während Kemfert neue fossile Lock-ins fürchtet, also Abhängigkeiten von Öl, Gas und Kohle, sehen andere Experten wenig Chancen, dem drohenden Dilemma zu entkommen. Es sollen die Menschen weder frieren müssen im Winter, noch soll die Industrie stillstehen, weil die Energie fehlt. Und die Welt braucht ständig mehr davon. Um zwei bis vier Prozent werde beispielsweise der Strombedarf jährlich wachsen, prognostiziert Dieter Vollkommer, der bei Siemens Energy unter anderem für das globale Nachhaltigkeitsprogramm verantwortlich ist. "Der Stromsektor muss als erstes dekarbonisiert werden", fordert Vollkommer. Mitte der 2030er-Jahre träten in vielen Ländern Gesetze in Kraft, die die Energieunternehmen zu Klimaneutralität verpflichten. An der Energiewende führe auch deshalb kein Weg vorbei.

Nur grüner Wasserstoff hilft wirklich im Kampf gegen den Klimawandel

Ein wichtiger Bestandteil dieser Wende könnte Wasserstoff sein. Doch der trägt nur dann wirklich zur Dekarbonisierung bei, wenn er auch grün ist, also mithilfe erneuerbarer Energien etwa von der Sonne hergestellt wird. Dazu reichen die Kapazitäten in Deutschland aber bei Weitem nicht aus. "Wir brauchen auf jeden Fall Importe", sagt Florian Bieberbach, der Leiter der Münchner Stadtwerke, "wir haben heute noch nicht einmal 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren." Im Moment, findet Claudia Kemfert ein überzeugendes Bild, sei grüner Wasserstoff so etwas wie "der Champagner unter den Energieträgern: teuer und nur für besondere Gelegenheiten". Wasserstoff, das ist ihr Rat, solle deshalb nur dann verwendet werden, wenn es keine andere Alternative gebe, zum Beispiel Strom.

Das sieht auch Tim Meyerjürgens so ähnlich, der Leiter des Tagesgeschäfts bei Stromnetzbetreiber Tennet. Dort, wo Moleküle verwendet werden, also etwa Gas in der chemischen Industrie, solle man auch weiter Moleküle verwenden und sie dorthin transportieren, weil sich das mit Pipelines effektiv machen lasse. Die Elektrolyseure aber, also die Anlagen, in denen Wasserstoff durch Elektrolyse mithilfe von Strom erzeugt wird, sollten dort gebaut werden, wo der Strom in großen Mengen und günstig zur Verfügung steht, also beispielsweise nahe den Offshore-Windparks. Diese Anlagen, sagt Claudia Kemfert, würden sich auch finanziell rentieren, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geändert würden. Bei Siemens arbeiten sie sogar schon daran, Wasserstoff direkt an den Windturbinen auf See zu erzeugen.

Bei der Energiewende sieht Meyerjürgens das Glas eher halb voll. "Wir haben schon viel geschafft", sagt er, "wir sind aber erst am Anfang." Was ihm allerdings immer wieder aufstößt, sind die langen Genehmigungsverfahren. Davon kann auch Florian Bieberbach, der Stadtwerke-Leiter, ein Lied singen. Er erzählt von einer Freileitung im Stadtgebiet, die erneuert werden muss. Obwohl die also bereits besteht, droht den Stadtwerken nun ein mehrjähriges Genehmigungsverfahren. Überhaupt sei bei vielen Projekten der Vorlauf "wahnsinnig lang" geworden, das könne man auch an der zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke sehen. Dabei sei das Bauen selbst durch moderne Methoden sogar schneller geworden als früher.

Zeitraubende Doppelschleifen

Meyerjürgens vom Netzbetreiber Tennet will die Kritik an den langwierigen Genehmigungsverfahren nicht als Jammern verstanden wissen. Und es gehe auch nicht darum, demokratisch verbriefte Rechte bei der Bürgerbeteiligung auszuhebeln. Aber in den Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren würden oft Doppelschleifen gedreht, und aus Angst vor Klagen enthielten die Genehmigungsanträge sehr viele Details, die wiederum aufwendig geprüft werden müssten. Mit der Folge, dass sich manchmal die Gesetzeslage ändert, wenn die Prüfung all der vielen Details endlich abgeschlossen ist. Dann müssten Änderungsanträge gestellt werden, die das Ganze erneut verzögern. Das müsse schneller gehen.

Das ist schon deshalb angeraten, weil die Preise für Energie geradezu explodieren. Die Experten erwarten bei Gas drei- bis viermal so hohe Kosten, bei Öl etwa eine Verdoppelung, bei Strom werde der Anstieg dagegen moderater ausfallen, auch weil die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesenkt wird. "Das wird den Anstieg etwas abpuffern", so Energieexpertin Kemfert. Sie fordert dringend, die Erneuerbaren mit Hochdruck auszubauen: "Umso schneller wir dabei werden, umso geringer werden die Kosten für die Haushalte sein", sagt sie. Die jetzige Krise sei doch ein Weckruf, die Fehler der Vergangenheit - die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern - dürften nun nicht wiederholt werden. Was aber erst einmal nichts an dem Fakt ändert, den Tim Meyerjürgens so beschreibt: "Die nächsten Jahre werden herausfordernd sein."

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