Süddeutsche Zeitung

Montagsinterview:"Bei jeder besseren Toilette sind wir heute schon weiter"

Lesezeit: 6 min

Osram-Chef Olaf Berlien redet über den Reformstau bei Straßenbeleuchtung, über den andauernden Umbau seines Unternehmens und die Zukunft des Lichts.

Interview Von Caspar Busse und Thomas Fromm

Nein, einfach hat es der Mann im Moment bestimmt nicht. Die Aktien waren schon mal doppelt so teuer, ganze Geschäftsbereiche werden verkauft, und Osram-Chef Olaf Berlien stemmt sich dagegen, als derjenige in die Geschichte einzugehen, der den alten Lampenhersteller nach und nach zerlegt. "Wir wollen uns ja nicht totschrumpfen", sagt er. Was er wirklich will? Osram komplett verändern.

SZ: Herr Berlien, seit fünf Jahren ist Osram nun von Siemens unabhängig und an der Börse - und ist seitdem immer kleiner geworden. Keine schöne Bilanz, oder?

Olaf Berlien: Es stimmt: Osram ist seitdem deutlich kleiner geworden, ja. Aber auch ertragreicher und wachstumsstärker. Wir haben uns ja in einem ersten Schritt von 40 Prozent unseres Umsatzes getrennt, nämlich dem traditionellen Lampengeschäft. Aus gutem Grund, denn traditionelle Lichttechnik geht zurück. Damit waren wir über Nacht um zwei Milliarden Euro Umsatz kleiner. Bei einem Fünf-Milliarden-Konzern ist das eine Menge. Jetzt wollen wir auch das Leuchtengeschäft Siteco verkaufen - also Lampen, die von oben hängen. Das sind noch einmal 400 Millionen Euro Umsatz.

Hier haben Sie doch die Prestigeprojekte verwirklicht, die Beleuchtung des Petersplatzes vor dem Vatikan oder der Sixtinischen Kapelle ...

Diese Spezialabteilung behalten wir auch. Osram wird da sogar noch mehr machen. Gerade erst war die neue Chefin der Vatikanischen Museen hier bei mir, um das zu besprechen. Im Januar kommenden Jahres werden wir die modernisierte Beleuchtung des gesamten Petersdoms einweihen. Das sind richtig heiße Projekte.

Dennoch: Sie sind jetzt derjenige, der den alten Traditionskonzern Osram stark verkleinert hat. Wie fühlt man sich als Schrumpfer?

Wir haben uns auf unsere Stärken konzentriert, und da ist Schrumpfen allemal besser, als in eine falsche Richtung zu gehen. Und wie Sie sehen, machen wir das alles hier sehr partnerschaftlich mit den Arbeitnehmern und damit leise: Keine Streiks, keine wilden Handzettel, und es hat sich auch niemand an den Zaun gekettet. Wir haben solche Unruhen nicht, weil wir die Dinge offen und gut erklären.

Kein Wunder, dass es bei Ihnen keinen Stress gibt. Ihre frühere Glühbirnensparte Ledvance haben Sie im vergangenen Jahr an chinesische Investoren verkauft. Die waren dann diejenigen, die Werke in Deutschland schließen und über 1000 Mitarbeiter nach Hause schicken mussten. Sie haben rechtzeitig verkauft und sich so den Ärger vom Hals gehalten.

Eine provozierende Frage, aber da bleibe ich jetzt sportlich. Wir wussten schon vor dem Verkauf, wie schwierig das Marktumfeld ist. Bis dahin hatten wir dort ja schon 16 000 Jobs streichen müssen. Aber meine Idee war: Wir verkaufen die Sparte an jemanden, der selbst eigene Produkte und einen eigenen Marktzugang hat.

Sie sagten damals, die Chinesen wären der beste Eigentümer. Das stimmt nicht mehr, oder?

Doch, die neuen Eigentümer sind besser, als wir es zu der Zeit gewesen wären. Bedenken Sie: Die Zeit der großen Veränderungen ist ja noch nicht beendet. Jetzt kommt der Leuchtenbereich, und die EU-Kommission hat nun Halogenlampen verboten. Wir kommen nie ganz zur Ruhe, es sind harte Zeiten.

Was heißt das für Sie?

Der Bereich Halogenbeleuchtung im Haushalt ist ja mitverkauft worden. Aber Halogenprodukte gibt es auch im Auto, und das läuft auch da langsam runter - wir sind dort Weltmarktführer. Das heißt: Heute sind noch 70 Prozent der Fahrzeuge mit Halogenlampen ausgestattet. Die Neuen haben LED-Licht, das wir zum Glück auch herstellen. Man könnte sagen: Wir sind Transformation. Wir erfinden uns laufend neu. Und dabei geht es nicht nur aufwärts.

Die Kommission in Brüssel verbietet eines nach dem anderen. Platzt Ihnen da nicht manchmal der Kragen?

Privat hat ja jeder so seine Meinung zur Krümmung der Banane. Beim Thema Licht hat Brüssel aber recht: LED ist einfach die bessere Technologie, allein schon weil sie bis zu 60 Prozent Strom spart. Ganz ehrlich: Die meisten Straßenlaternen in Deutschland sind heute noch mit herkömmlicher Technik ausgestattet und nicht mit LED. Straßenlaternen gehen bei uns immer noch abends an und früh morgens wieder aus - wie vor hundert Jahren, die Gemeinden sind da sehr langsam. Bei jeder besseren Toilette sind wir heute schon weiter als bei unseren Straßenlaternen. Unsere Städte müssen smarter werden, mit Bewegungsmeldern und intelligentem Licht.

Ist Osram heute stabil oder muss noch mehr raus?

Wir wollen uns ja nicht totschrumpfen. Osram ist heute grundsolide, muss aber auch wieder wachsen. Unser Ziel ist, möglichst bald wieder auf einen Umsatz von mindestens fünf Milliarden Euro zu kommen. Deshalb haben wir uns schon in neue Bereiche eingekauft - zum Beispiel bei Gesichtserkennung, wie sie in modernen Smartphones steckt. Oder wir haben über 80 Millionen Euro in den Bereich professionelle Gewächshausbeleuchtung investiert. Das wird noch einen Boom geben, weil viele Lebensmittel beim Transport vom Feld zum Supermarkt kaputt gehen. Wir investieren also in die Mega-Trends der Zukunft.

Ihr Vertrag läuft noch bis 2022 - was wird Osram dann sein? Ein Spezialanbieter für Autos und städtischen Gemüseanbau?

Der Osram der Vergangenheit war ein Licht-An-und-Aus-Anbieter. Der Osram der Zukunft ist ein Photonics-Konzern. Ein Großteil des Lichts, das wir machen, ist gar nicht mehr sichtbar - wir sind zum Beispiel Weltmarktführer bei Infrarot-Chips. Die brauchen Sie für autonomes Autofahren, für Sensoren, für Uhren, für Handys. Wir entwickeln uns also zu einem Lösungsanbieter.

Irgendwie scheint das alles aber noch nicht zu zünden. Anfang des Jahres lag die Osram-Aktie bei fast 70 Euro, heute nur noch bei der Hälfte.

Wir stecken mitten in einem grundlegenden Wandel, in einer der größten Transformationen in Deutschland. Da geht es mal nach oben, mal nach unten.

Aber eine Halbierung des Aktienkurses? Gibt es für gute Geschichten keine Vorschusslorbeeren?

Der gesamte Markt und die Aktienkurse haben sich für viele Unternehmen seit Anfang des Jahres verschlechtert. Das geht doch anderen Unternehmen an der Börse ähnlich.

An der Börse geht es auch um Vertrauen - zwei Gewinnwarnungen haben Sie allein in den vergangenen Monaten abgegeben.

Für jeden Vorstand ist so etwas eine bittere Sache. Aber umgekehrt bekommen Sie auch Vertrauen, wenn Sie früh genug über Marktveränderungen berichten. Das tut weh, aber: Ich kann mir die Konjunktur ja nicht schnitzen.

Ihr Autogeschäft liegt jetzt in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Continental. Warum eigentlich?

Wir haben alles, was mit Zukunftsthemen im Auto zu tun hat - Elektronik-Steuerung, Software, Digitales - mit Conti zusammengelegt. Da sind zwei Starke zusammengekommen, das ist wie bei einer Ehe: Man kann versuchen, alleine durchs Leben zu gehen. Man kann das aber auch mit einer Partnerin machen, dann ist man vielleicht glücklicher - und schneller. Hätten wir das selbst aufgebaut, hätte uns das Jahre gekostet.

Wie soll es bei Osram weitergehen?

Das wollen wir Anfang November verkünden. Aber so viel schon vorab: Osram wird eine sehr innovative Photonics-Company mit Produkten und deren Anwendungen dazu.

Am Ende bleibt nur der Name Osram?

Nein. Es wird auch weiterhin Licht geben, und das kommt von Osram.

Warum müssen Sie dann noch Osram heißen? Ein Name, der sich aus den Glühwendel-Metallen Osmium und Wolfram zusammensetzt?

Weil die Marke Osram immer noch ein großes Zugpferd ist, egal wo sie arbeiten und mit welchen Kunden. Wir haben heute 17 400 Patente, und jeden Tag kommen drei neue dazu. Wir arbeiten nicht mehr mit Glühbirnen aus Glas, sondern entwickeln und verkaufen neue Technologien.

Seit vergangenem Jahr haben Sie auch eine große LED-Fabrik in Malaysia. In Asien haben sie jetzt 12 000 Mitarbeiter, in Deutschland nur noch 7000. Würden Sie es von sich weisen, wenn man Ihnen sagt, dass Osram heute ein asiatisches Unternehmen ist?

Ja, das würde ich von mir weisen. Wir sind seit 111 Jahren am Markt und waren immer schon sehr international. Daran hat sich nichts geändert. Unsere Wurzeln sind deutsch, und wir sind stolz darauf. Wir bleiben hier.

Nachdem Siemens seine Osram-Anteile verkauft hat, stehen Sie ohne Großaktionär da.

Ich hätte gerne einen Ankeraktionär, der ankert! Einen also, der uns länger begleitet.

Es gab schon mal chinesische Interessenten. Ist da etwas in Sicht?

Ich kenne als Vorstand die Strategien der Investoren ja nicht. Ich glaube, es wäre auf jeden Fall ein Unterschied, ob Chinesen nur eine Finanzbeteiligung erwerben oder gleich das ganze Unternehmen wie beim Roboterhersteller Kuka.

An diesem Dienstag treffen Sie ihre Analysten und Investoren - können Sie ihnen Hoffnung machen?

Wenn die mich fragen, wie ich die weltwirtschaftliche Lage sehe, dann werde ich sagen: Es gibt zurzeit eine eingeschränkte Sicht auf die Entwicklung bis Weihnachten. Keiner kann sagen, wie sich die Weltwirtschaft weiter entwickelt. Der Brexit, der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt, die Frage, wie es in Italien mit seiner Regierung weitergeht, die Krise in der Türkei - es ist alles weniger vorhersehbar als noch vor einem Jahr.

Wie sehr tangiert Sie der Handelskrieg zwischen den USA und China?

Wenn meine Kunden wie zum Beispiel Daimler ein Problem bekommen, ihre Fahrzeuge von den USA nach China zu verkaufen und umgekehrt, dann bin ich doch immer mit von der Partie. Osram ist wichtigster Lieferant für viele Autohersteller und deren Zulieferer. Am Ende könnte die ganze Weltkonjunktur in Gefahr sein.

Olaf Berlien , 55, hat in Berlin an der Technischen Universität Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitete zunächst für IBM und Carl Zeiss, 2002 wurde er Mitglied des Vorstands von Thyssenkrupp und galt zwischenzeitlich als Anwärter für die Konzernspitze. 2015 wurde Berlien Chef von Osram.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2018
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