Mietendeckel:"Bei lebensnotwendigen Gütern muss der Staat eingreifen dürfen"
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In Berlin wird der Mietendeckel heftig diskutiert, in Österreich gibt es ihn seit Jahren. Wohnrechtsexperte Walter Rosifka erklärt, was er gebracht hat.
Interview von Verena Mayer
Kaltmiete bis maximal 7,97 Euro den Quadratmeter, egal, ob die Wohnung im angesagten Innenstadtbezirk oder im Plattenbaugebiet liegt - der Entwurf zum geplanten Berliner Mietendeckel sorgt seit Tagen für heftige Diskussionen. Die einen feiern das Papier der Linken-Politikerin Katrin Lompscher als einzig mögliches Mittel gegen einen überhitzten Immobilienmarkt, die anderen sprechen von "Sozialismus-Fantasien" und sehen darin den ersten Schritt zur Enteignung. Doch welche Erfahrungen hat man mit gedeckelten Mieten eigentlich dort gemacht, wo sie seit Langem zum Alltag gehören? In Österreich zum Beispiel, wo die Mieten 1994 durch ein Bundesgesetz auf Richtwerte zwischen 5,30 und 8,92 Euro pro Quadratmeter begrenzt wurden. Fragen, die der Jurist Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Wiener Kammer für Arbeiter und Angestellte, beantworten kann. Er beschäftigt sich seit Anfang der Neunzigerjahre mit Wohnungspolitik und ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Wohnrecht" im österreichischen Bundesministerium für Justiz.
SZ: Herr Rosifka, in Österreich sind die Mieten seit 25 Jahren durch das so genannten Richtwertgesetz gedeckelt. Wie funktioniert das?
Walter Rosifka: Es gibt ein Richtwertsystem für Altbauten. Darin ist eine durchschnittliche Normwohnung definiert, die eine bestimmte Ausstattung hat, die zeitgemäß sein muss, also Küche, Vorzimmer, Bad, Klo, Zentralheizung oder Etagenheizung. Für eine solche Wohnung darf man dann eine bestimmte Miete verlangen, die von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. In Wien liegt der Quadratmeterpreis aktuell bei 5,81 Euro nettokalt, in Salzburg bei 8,03 Euro. Weicht die Wohnung von der Norm ab, können Zu- oder Abschläge verrechnet werden, etwa für einen Balkon. Auch für die Lage können Vermieter, je nachdem, wo sich die Wohnung befindet, einen Zuschlag verlangen. Frei verhandelbar sind Mieten im Altbau nur für Wohnungen ab 130 Quadratmetern, weil die als Luxuswohnungen gelten, und für Dachgeschosswohnungen.
Das klingt ganz schön radikal - wie kam es zu einem solchen Gesetz?
Es gab schon seit 1982 einen Mietendeckel, der aber nicht sehr wirksam war. Dann sollte in Wien die Expo stattfinden, und es kam zu einem großen Hype. Die Mieten schossen in die Höhe, es wurde viel spekuliert. Deswegen hat man schließlich den Richtwertmietzins festgelegt, um die Auswüchse des Marktes einzudämmen. Historisch gesehen war Österreich aber immer schon ein Land der Mietobergrenzen. Das war bereits unter den konservativen Christdemokraten in den Zwanzigerjahren und später allgemeiner politischer Konsens, dass eine hohe Mieterquote als etwas Positives gilt, denn dann sind die Leute mobil, verschulden sich nicht und haben Geld für den Konsum übrig. Bis heute gehört Österreich zu den europäischen Ländern mit den meisten Mietern, in einer Stadt wie Wien beträgt die Mieterquote rund 80 Prozent. Aber solche Zahlen erreicht man nur, wenn man eine Begrenzung einzieht, weil sonst der Markt unleistbar wird.
Man kann also eine Wohnung an der Wiener Ringstraße mieten, und der Vermieter darf nicht mehr als knapp sechs Euro plus Lagezuschlag verlangen?
Nein, es ist so wie überall: Der Vermieter verlangt, was der Markt hergibt, und sagt: 900 Euro, willst du die Wohnung oder soll ich wen anderen suchen, hier unterschreib? Anfechten kann man die Miete nur im Nachhinein, bei einer Schlichtungsstelle oder vor Gericht, wo die Miethöhe dann von Sachverständigen bewertet wird, und das kann so oder so ausgehen. Auch sind Mietverträge in Österreich oft befristet, das ist ganz legal. Aber wenn ich nur einen Vierjahres-Vertrag habe, klage ich als Mieter auch eher nicht, selbst wenn ich im Recht bin. Deswegen sind Mietzinsbegrenzungen nur dann sinnvoll, wenn es ein weitgehendes Befristungsverbot gibt und sie so klar sind, dass sie auch wirken.
Und das tun sie in Österreich nicht?
Das Richtwertgesetz wurde von einer Großen Koalition beschlossen, und wie immer bei politisch heiklen Fragen kam am Ende ein Kompromiss heraus. Der sieht so aus, dass ich als Vermieter zwar einerseits an Begrenzungen gebunden bin, andererseits aber auch einen sehr hohen Mietzins verlangen kann, weil etwa durch die Lagezuschläge der freie Markt durch die Hintertür wieder hineinkommt. Auch sind Neubauten, abgesehen von kommunal geförderten Gebäuden, davon komplett ausgenommen, und als Neubau zählt alles, was nach 1945 gebaut wurde. Wenn Sie also einen Klotz aus dem Jahr 1972 haben, können Sie ebenfalls verlangen, was Sie wollen.
Ein Argument, das bei der Diskussion um Mietbegrenzungen immer wieder kommt: Das sei eine Quasi-Verstaatlichung von Wohnraum. Was sagen Sie dazu?
Ich finde, bei lebensnotwendigen Gütern muss der Staat im öffentlichen Interesse eingreifen dürfen. Wenn ein Staat will, dass Menschen nicht 40, 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben, sondern genügend Geld für Konsum haben, also die freie Wirtschaft fördern, sind das legitime Ziele. Man fragt sich ja auch: Warum sind die Preise in Berlin so in die Höhe geschossen? Weil der Steuerzahler investiert hat und politische Entscheidungen erst die Voraussetzungen für den Boom geschaffen haben. Für die Eigentümer ist das eine leistungslose Wertsteigerung, ein Mitnahme-Effekt.
Von Vermieterseite wird beklagt, dass man keine notwendigen Investitionen machen könne, wenn eine Wohnung nur fünf Euro kalt einbringt.
Dieses Lamentieren halte ich für nicht angebracht. Gemeinnützigen Bauträgern gesteht man gerade mal zwei Euro pro Quadratmeter für Erhaltung und Verbesserung zu, und die kommen damit aus. Ein Nebeneffekt ist, dass Mietendeckel dazu führen, dass man sich leichter Eigentum leisten kann, weil ein 40-jähriger Familienvater nicht mit irgendwelchen Hegdefons konkurriert, die Wohnungen kaufen, um damit schnell Geld zu verdienen.
Trotzdem schafft ein Mietendeckel keine einzige neue Wohnung.
Das Gegenteil ist der Fall! Die Mietenbegrenzung in älteren Gebäuden führt über kurz oder lang dazu, dass die Investoren sagen, dann gehe ich in den Neubau und errichte Häuser. Wenn ein Investor ein altes Haus kauft und 20 Wohnungen vermietet, hat er dadurch keine einzige neue Wohnung und keinen zusätzlichen Arbeitsplatz geschaffen. Man muss die Investoren also dazu lenken, dass sie neu bauen und nicht mit bestehenden Häusern spekulieren.
Dennoch klingt bei Ihnen immer wieder durch, dass Sie den Richtwertmietzins, so wie er ist, für kein besonders gutes Instrument halten. Warum nicht?
Weil die Lagezuschläge so ausufern können und die Richtlinien dazu so unklar formuliert sind. Man kann aus dem Gesetz nicht klar ableiten, welche Zuschläge man verlangen darf, und dann ist man den Gerichten und Sachverständigen ausgeliefert und riskiert Verfahrenskosten. Ich bin Jurist und ich finde, ein Gesetz sollte so klar sein, dass es 80 bis 90 Prozent aller Bürger einhalten können, ohne dass sie einen Richter brauchen.