Süddeutsche Zeitung

Meisterpflicht:Die Politik tut dem Handwerk einen Riesengefallen

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Die Wiedereinführung der Meisterpflicht in vielen Berufen sichert die Qualität am Markt. Wirtschaftspolitisch zwingend ist die Reform jedoch nicht.

Kommentar von Henrike Roßbach

Der Satz "Wir haben die Handwerker im Haus" wurde früher gerne augenrollend vorgetragen - und mit der Bemerkung "Ihr Armen!" quittiert. Wer heute von Handwerkern erzählt, die gerade neue Badezimmerfliesen verlegen oder die alten Dielen abschleifen, erntet dagegen nicht Mitgefühl, sondern eher neidvolle Rückfragen: "Handwerker? Wie seid ihr an die rangekommen?" Das Handwerk hat in der Wahrnehmung vieler einen erstaunlichen Imagewandel hinbekommen. Das Bild von den Jungs im Blaumann, die gerne Pause und nicht so gerne sauber machen, wirkt wie eine Erzählung aus einem Land vor unserer Zeit. Handwerker gelten heute als versierte Experten, sie sind begehrt und rar, eine Folge des Baubooms in den Städten. Zudem wirbt die Branche vorbildlich um Auszubildende, vom Schulabbrecher bis zum Abiturienten. Sie lockt mit Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und mit Berufsbildern, bei denen Digitalisierung und Hightech längst dazu gehören.

In der Politik zählte das Handwerk schon immer zu "den Guten": Der lokale Handwerksbetrieb, seit Generationen in Familienhand, dient als bierzelt- und bundestagstaugliches Kontrastbild zum börsennotierten Konzern. Für das Handwerk zahlt sich das aus: Im Bundestag werden flammende Reden zur Verteidigung des Meisterbriefs gehalten, Handwerkerleistungen können steuerlich geltend gemacht werden, der Handwerker haftet nicht mehr, wenn er fehlerhaftes Material verbaut, und im Koalitionsvertrag wartet die Erstattung der Meistergebühren.

Die Lockerung der Meisterpflicht hat das Handwerk nie überwunden

Einen Glückstag erlebte das Handwerk diese Woche: Union und SPD wollen in einem Dutzend Gewerken die 2004 gelockerte Meisterpflicht wieder einführen. Damals hatte die rot-grüne Regierung den Meisterzwang in 53 von 94 Handwerksberufen abgeschafft, um die Selbständigkeit zu fördern. Kunden sollten zudem von sinkenden Preisen profitieren.

Das Handwerk hat diese Niederlage nie verwunden. Nach vielen Jahren des Klagens wird es nun teilweise erhört. Als Fliesenleger etwa soll man von 2020 an wieder einen Meisterbrief brauchen, um sich selbständig zu machen; für bestehende meisterlose Betriebe gilt Bestandsschutz. Die Initiatoren des Vorhabens führen die gesunkene Ausbildungsleistung in den liberalisierten Branchen an; zudem seien Verbraucher besser vor Qualitätsmängeln zu schützen. "Gefahrgeneigte Handwerke" habe man ausgewählt.

Wirtschaftspolitisch ist die Meisterpflicht nicht dringend geboten

Mal ganz ehrlich: Fliesen verlegen als Hochrisikoberuf? In Wahrheit tut die Politik dem Handwerk schlicht einen Riesengefallen. Ja, der Meistertitel ist Nachweis handwerklichen Könnens und gründlicher Ausbildung. Vor allem aber ist er eine Marktzugangsbeschränkung. Bei allen unstrittigen Verdiensten des Handwerks: Die Re-Regulierung leuchtet nicht ein. Es steht ja jedem Kunden frei, auf Nummer sicher zu gehen und einen Meisterbetrieb zu beauftragen. Handwerker sind knapp, der Markt ist riesig, der Kuchen groß genug für alle. Und wer heute nicht ausbildet, wird morgen sehen, was er davon hat, wenn die Konkurrenz an ihm vorbeizieht.

Die Politik könnte manches tun, um dem Mittelstand und dem Handwerk zu helfen. Von der Komplettabschaffung des Soli über Bürokratieabbau bis zur Zulassung beruflicher Abschlüsse für den höheren Dienst. Die Wiedereinführung der Meisterpflicht dagegen mag ein Herzensanliegen des Handwerks sein. Wirtschaftspolitisch dringend geboten ist sie nicht.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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