Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Lufthansa steckt in der Zwickmühle

Lesezeit: 3 min

Nach der Krise würde die Airline gern wieder kleinere Fluglinien aufkaufen. Doch sinnvolle Übernahmeziele gibt es kaum, und bei der Lufthansa wird das Geld an anderer Stelle dringend gebraucht.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Am Ende war die Enttäuschung im Lufthansa Aviation Center (LAC) nicht besonders groß. Monatelang hatten sich die Planer mit der Übernahme der neuen italienischen Fluggesellschaft ITA Airways beschäftigt. Lange Zeit sah es so aus, als würde der Konzern gemeinsam mit der Reederei MSC den Zuschlag gekommen. Doch dann begann die scheidende Regierung Mario Draghi exklusive Verhandlungen mit der Konkurrenz von Certares, Air France-KLM und Delta. Lufthansa war raus aus dem Rennen.

Dass die Konzernzentrale deswegen nicht in Krisenstimmung verfiel, lag unter anderem daran, dass die mutmaßliche neue italienische Rechtsregierung die Privatisierung nicht will und der Fall damit politisch heikel wurde. Da Lufthansa in Italien sowieso mit ihren eigenen Flügen gut vertreten ist, verzichtete sie am Ende gerne und schaut nun interessiert zu, wie sich die Fondsgesellschaft Certares, die das Konsortium anführt, mit der neuen Regierung herumplagen muss. Allerdings stellt sich nun die Frage, wie Lufthansa ihr erklärtes Ziel erreichen will, an der Konsolidierung des Luftfahrtsektors aktiv, sprich, als Investor, teilzunehmen und vor allem außerhalb von Deutschland zu wachsen.

Die Antwort hat drei Teile. Der einfachste heißt Air Dolomiti. Die italienische Regionalfluggesellschaft gehört schon seit Langem zum Konzern, verbindet die Drehkreuze in Frankfurt und München vor allem mit der norditalienischen Provinz und könnte nun stärker wachsen. Darüber hinaus gibt es derzeit in Europa zwei große Übernahmeziele, mit denen sich interessierte Investoren über kurz oder lang befassen müssen: TAP Air Portugal und SAS Scandinavian Airlines. Auf den ersten Blick bieten sich beide geradezu an für Lufthansa, denn sowohl TAP als auch SAS sind wie die deutsche Airline seit Langem Mitglied der Star Alliance und auch in bilateralen Abkommen eng verbandelt. Auf den zweiten Blick ist es wesentlich komplizierter.

TAP ist hinter Iberia die kleinere der beiden großen Fluglinien auf der iberischen Halbinsel. Ihre Spezialität sind die Langstrecken von ihrem Drehkreuz in Lissabon aus in Richtung Südamerika und insbesondere nach Brasilien. Diese dürften auch aus Sicht von Lufthansa der attraktivste Teil der Airline sein. Lufthansa hat auf dem Südatlantik über Jahre eher Marktanteile verloren. In Brasilien verlor sie in kurzer Zeit gleich drei frühere Partner: Varig und Avianca Brazil gingen pleite, TAM fusionierte mit der chilenischen LAN zu LATAM Airlines und wechselte zunächst zur Oneworld-Allianz (unter anderem mit British Airways) und später zu Skyteam (Air France-KLM, Delta). Anschließend kaufte die Muttergesellschaft von British Airways, International Airlines Group, auch noch einen Anteil am spanischen Südamerikaspezialisten Air Europa. Seitdem ist Lufthansa erst recht in Zugzwang.

Schon 2019 stand Lufthansa für TAP-Aufkauf bereit, doch die Pandemie kam dazwischen

Die portugiesische Regierung hat nun angekündigt, TAP in der ersten Hälfte des Jahres 2023 mehrheitlich zu privatisieren. Details dazu nannte sie allerdings noch nicht. Die jüngste Geschichte der Fluglinie ist turbulent: Jahrzehntelang befand sich TAP in Staatsbesitz und schrieb zeitweise hohe Verluste. Dann stieg ein Konsortium unter Führung des amerikanisch-brasilianischen Flug-Unternehmers David Neeleman ein. Nach endlosen Querelen mit der Regierung wollte er 2019 wieder verkaufen und Lufthansa war ernsthaft interessiert. Dann stoppte die Corona-Pandemie alle Investitionen und der Neeleman-Anteil ging zurück in Staatsbesitz. Portugal bezuschusste die Airline in der Krise mit mehr als 2,5 Milliarden Euro. Jetzt soll sich jemand anderes um TAP kümmern.

Die neue Chefin, die Französin Christine Ourmières-Widener, versucht, mit einem Sparprogramm die Zahlen schnell aufzuhübschen, doch in Frankfurt ist nach zwei Jahren Krise dem Vernehmen nach die Begeisterung für TAP merklich abgeflaut. Für ITA hätte man eine Ausnahme gemacht, aber es gibt einfach zu viele interne Baustellen, als dass man viel Zeit und Geld für eine scheinbar so marginale Investition wie TAP übrig hätte. Eigentlich müsste jeder Euro entweder in den Schuldenabbau oder in neue Flugzeuge und das nicht mehr so überzeugende Bordprodukt gesteckt werden.

Es spricht also nicht viel dafür, einen Einstieg bei TAP zu forcieren, zumal der Verkauf eines Mehrheitsanteils an einen privaten Investor in Portugal mittlerweile auch politisch umstritten ist. Allerdings gibt es ein Szenario, das Lufthansa dann doch Sorgen bereiten muss: Air France-KLM zahlt bis Jahresende die Staatshilfen zurück, ist dann wieder frei für Investitionen anderswo und bekommt bei TAP den Zuschlag. Damit würde Lufthansa den neben der kolumbianischen Avianca wichtigsten Partner im Südamerikageschäft an einen direkten Konkurrenten verlieren, der in dem Marktsegment dank Verbindung mit LATAM Airlines sowieso führend ist.

Anders liegt der Fall SAS. Die skandinavische Fluglinie befindet sich eigentlich seit Jahrzehnten dank hoher Kosten im Sanierungsmodus. Zuletzt legte der neue Chef Anko van der Werff ein neues, rigides Programm vor. Nachdem die Piloten einen erbitterten und für SAS äußerst teuren Streik starteten, beantragte SAS Insolvenz nach Kapitel 11 des amerikanischen Konkursrechts - van der Werff hatte das Gleiche in seiner Zeit als Avianca-Chef gemacht. Als Teil der geplanten Sanierung schrumpft die Airline weiter. Gerade hat sie Leasingverträge für etwa zehn Prozent der Flotte außerordentlich gekündigt.

Für Lufthansa hat SAS ihren Wert im Nachbarschaftsverkehr und als Lieferant für Langstreckenpassagiere. Im Interkontinentalverkehr spielt die Fluglinie anders als TAP keine strategisch bedeutende Rolle. Ob und wann Dänemark und Schweden - beide halten noch große Anteile - SAS verkaufen, ist unklar. Gerade erst haben sie sich bereit erklärt, noch einmal Geld in das Unternehmen zu stecken, um das Insolvenzverfahren abzuschließen.

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