Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelskandale:50 Lastwagen und eine Stichprobe

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Geflügelwurst aus Schweinefleisch? Fruchtjoghurt ohne Früchte? Verbraucherschützer sehen den nächsten Skandal bereits kommen. Sie warnen, den Herstellern sei so ziemlich alles zuzutrauen.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Wenn es um Lug und Trug in der Lebensmittelbranche geht, kann Thilo Bode sich richtig in Fahrt reden. Müslis, die völlig überzuckert sind, Fruchtjoghurts ohne Früchte oder "Geflügelwurst", die überwiegend aus Schweinefleisch besteht. Bode, Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, kennt sämtliche Tricks der Lebensmittel-Hersteller und weiß daher, was ihnen zuzutrauen ist: so ziemlich alles. Doch selbst für den erfahrenen Verbraucherschützer gibt es noch Dinge, die ihm die Sprache verschlagen: etwa die Tatsache, dass weder im Dioxin- noch im Pferdefleisch-Skandal die Verantwortlichen jemals zur Rechenschaft gezogen wurden.

Im Dioxin-Skandal, bei dem ein Futtermittelhersteller Ende 2010 an mehrere Tausend Hühner-, Puten- und Schweinemastbetriebe in Deutschland dioxinbelastetes Futter geliefert hatte, sah die Justiz weder beim Geschäftsführer noch beim Prokuristen der Firma die Schuld als erwiesen an. Zwar musste der Betrieb Insolvenz anmelden, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde aber niemand.

Ähnlich verhielt es sich laut Bode im Fall der Pferdefleisch-Lasagne 2013. Weder die deutschen Einzelhändler, die die Produkte verkauft hatten, noch ihre Zulieferer seien schuldig gesprochen worden. Und die beiden ausländischen Firmen, die das Pferdefleisch geliefert und verarbeitet hatten, würden mittlerweile unter anderem Namen ihre Geschäfte weiterbetreiben. "Daran sieht man: Es ändert sich überhaupt nichts", sagte Bode am Mittwoch in Berlin: "Der nächste Lebensmittelskandal kommt so sicher wie Weihnachten oder Ostern!"

Hersteller stärker in die Pflicht nehmen

Was Bode regelrecht erzürnt, sind die ständigen Forderungen von Politikern nach mehr behördlichen Kontrollen und der Rückverfolgbarkeit von Produkten. "Was hätte es uns genützt, die Lieferkette lückenlos zurückzuverfolgen, wenn - wie im Fall der Pferdefleisch-Lasagne - Betrüger am Werk waren?" Zumal auch der Verbraucher nichts davon habe, sobald er das Pferdefleisch oder die Dioxin-verseuchten Eier erst einmal verspeist habe. "Statt hinterher strenge Maßnahmen zu ergreifen, wäre es viel wichtiger, präventiv zu handeln", meint Bode.

Er fordert, dass Hersteller von Lebens- oder Futtermitteln sämtliche Zutaten vor der Verarbeitung "zu hundert Prozent" prüfen müssen. Wenn sich dann später herausstellt, dass ihre Ware verunreinigt war, könnten sie nicht - wie in den Dioxin- und Lasagnefällen - einfach behaupten, sie hätten davon nichts gewusst. "Man könnte ihnen auf jeden Fall ihre Schuld nachweisen", sagt Bode.

Er ist überzeugt, dass eine solche Pflicht die Hersteller veranlassen würde, viel genauer darauf zu achten, von wem sie ihre Ware beziehen. "Das würde sich in der ganzen Lieferkette fortsetzen." Derzeit seien die Eigenkontrollen der Hersteller viel zu lückenhaft. Bildlich gesprochen müsse bei 50 Lastwagen nur von einem Wagen eine Probe genommen werden. Nach Bodes Meinung dagegen sollte die gesamte Ladung von allen 50 Lastwagen untersucht werden, bevor sie verarbeitet wird.

Den Einwand, dass das die Herstellung von Lebensmitteln ungeheuer verteuern würde, lässt er nicht gelten. "Mal angenommen, ein Kilo Schweinefleisch kostet im Laden acht Euro", sagt er. "Dann entfallen davon zwei Euro auf die Herstellungskosten und davon ein Euro auf die Futtermittel." Selbst wenn der Preis für die Futtermittel wegen der neuen Prüfpflicht um 20 Prozent steigen würde, wären das gerade mal 20 Cent. Der Verbraucher müsste im Laden also statt acht Euro für das Kilo Fleisch künftig 8,20 Euro zahlen, sagt Bode. "Das merkt er doch überhaupt nicht."

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Quelle:
SZ vom 07.08.2014
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