Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Die Qual des Rebhuhns

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Viele Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sind bedroht, weil die Regierung und die Europäische Union zu wenig in den Naturschutz investieren. Und es könnte sogar noch schlimmer kommen.

Von Silvia Liebrich, München

So ein Rebhuhn hat es schwer in deutschen Gefilden. Hätte der unscheinbare, grau-braune Hühnervogel die Wahl, würde er wohl in die Heide oder eine naturbelassene Steppenlandschaft ziehen. Weil es daran hierzulande mangelt, muss er sich auf Äckern und intensiv bewirtschafteten Wiesen durchschlagen - und das gelingt der gefährdeten Art immer seltener. Zwischen 1990 und 2013 verschwanden nach Angaben der Bundesregierung in Deutschland 84 Prozent aller Rebhühner und mit ihnen viele andere Arten. Schuld ist vor allem der Mensch, weil er ihnen zu wenig Raum zum Leben lässt.

Das Rebhuhn ist auch ein Symbol für das Versagen von Naturschutzpolitik. Rund 60 Prozent der geschützten Tier- und Pflanzenarten haben in Deutschland große Probleme. "Und der Trend ist weiter negativ", sagt Konstantin Kreiser vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu).

Die Gründe dafür sind vielfältig. Wichtige Lebensräume wie artenreiche Wiesen werden in Maisfelder verwandelt, Wälder zu Holzplantagen umgestaltet. Heidelandschaften wuchern zu, weil sie nicht mehr traditionell beweidet werden. "Rückschritte sehen wir vor allem dort, wo es Konflikte mit Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei gibt", sagt der Nabu-Experte für Naturschutzpolitik. Das bestätigt auch das Bundesumweltministerium (BMU). Im Hinblick auf den Verlust biologischer Vielfalt sei "der Agrarsektor ein wesentlicher Verursacher", heißt es dort.

Für Landwirte muss sich Artenschutz auch finanziell lohnen

Was aber vor allem fehlt, ist der politische Wille, daran etwas zu ändern. Dass es Bund und Länder beim Naturschutz mit geltenden EU-Vorgaben nicht so genau nehmen, zeigen Vertragsverletzungs- und Mahnverfahren, die die EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet hat. Wie kann das sein? Die Bundesregierung hat vor fast drei Jahrzehnten Richtlinien zum Naturschutz auf EU-Ebene zugestimmt. Doch es hapert immer noch bei der Umsetzung. Der scheidende Umweltkommissar Karmenu Vella aus Malta hat deshalb am Ende seiner Amtszeit eine Reihe von Beschwerdebriefen verschickt, auch an andere Mitgliedsländer. "Fast jeder wesentliche Fortschritt in Deutschland muss durch die EU erzwungen werden, oft durch Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof", kritisiert Kreiser.

Bekanntestes Beispiel ist derzeit der Kampf um die sogenannte Nitratrichtlinie, die eine gute Qualität von Gewässern sicherstellen soll. Weil hierzulande zu viel Dünger und Gülle auf Feldern und Wiesen landet, drohen Deutschland horrende Strafzahlungen. Ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren könnte folgen, weil Deutschland die Vorgaben für die Natura-2000-Gebiete nicht einhält. Hier geht es um ein Netz von Schutzgebieten innerhalb der EU, das seit 1992 errichtet wird, mit dem Ziel, heimische Pflanzen, wild lebende Tierarten und ihre natürlichen Lebensräume zu erhalten. Vergangene Woche folgte eine Mahnung, weil Blühwiesen und artenreiches Grünland verschwinden. Also jene Flächen, die als Rückzugsort vieler gefährdeter Arten gelten, darunter auch Rebhühner.

In Deutschland stehen nach Schätzungen des Nabu 16 Prozent der Fläche im engeren und weiteren Sinn unter Naturschutz. Doch hier fängt das Problem schon an. Genaue Zahlen gibt es nicht, auch nicht beim zuständigen Bundesamt für Naturschutz. Begründet wird das dort mit den verschiedenen Formen von Schutzgebieten wie Nationalpark, Biosphärenreservat, Landschaftsschutzgebiet und deren unterschiedliche Definitionen. Manchmal stehen nur einzelne Pflanzen oder Tierarten unter Schutz, selbst moderne Landwirtschaft kann in geschützten Gebieten erlaubt sein, inklusive Pestizid- und Gülleeinsatz. Eine Bestandsaufnahme fällt deshalb schwer. Entsprechend kompliziert ist auch die Überwachung, die nach Einschätzung von Naturschützern von den zuständigen Ländern zudem gar nicht oder zu lasch durchgeführt wird.

Als größtes Hemmnis für besseren Naturschutz gilt die Landwirtschaft. Nach Ansicht von Naturschützer Kreiser wäre es jedoch falsch, Bauern dafür die Schuld zuzuschieben. Sie seien Gefangene eines Subventionssystems, in dem sich Artenschutz nicht auszahlt. "Die EU-Agrarpolitik torpediert die Naturschutzpolitik", meint er. Ablesen lässt sich das auch am Budget. Während der Agrarsektor in der EU mit gut 60 Milliarden Euro jährlich gestützt wird, fließen in den Naturschutz nur zwei bis drei Milliarden Euro, "nötig wären mindestens 15 Milliarden", meint Kreiser.

Ähnlich sieht das Verhältnis in Deutschland aus. Für Artenschutz und Biodiversität gibt es aus dem EU-Fördertopf laut BMU pro Jahr 324 Millionen Euro. Das ist zu wenig gemessen an 6,2 Milliarden Euro, die insgesamt in die Landwirtschaft fließen, findet Kreiser. Naturschutz müsse sich für die Landwirte lohnen. Auch im Ministerium heißt es: "In Anbetracht der Finanzierungslücke bedarf es hier einer deutliche Aufstockung der Mittel."

Doch danach sieht es derzeit bei der anstehenden Agrarreform auf EU-Ebene nicht aus. Das macht unter anderem eine Studie deutlich, die diesen Freitag im Fachmagazin Science veröffentlicht wird. Darin wird der Vorschlag für die künftige gemeinsame Agrarpolitik analysiert. Fazit: Die EU wird ihre Ziele beim Arten- und Klimaschutz klar verfehlen. Für Rebhuhn und Co. sind das schlechte Nachrichten.

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SZ vom 02.08.2019
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