Süddeutsche Zeitung

Künstliche Intelligenz bei Google:"Irgendwann macht es Klick"

Lesezeit: 4 min

Emmanuel Mogenet leitet Googles europäisches Forschungszentrum in Zürich. Ein Gespräch über Fisch-Bilder und Computer, die längst schlauer sind als der Mensch.

Interview von Charlotte Theile

Mit mehr als 1800 Angestellten ist das Google-Zentrum Zürich der größte Entwicklungsstandort der Firma außerhalb Amerikas. Emmanuel Mogenet leitet hier Google Research Europa, eine neu gegründete Spezialabteilung, die sich auf künstliche Intelligenz fokussiert. Um zu demonstrieren, was seine Leute leisten, holt Mogenet als Erstes sein Smartphone heraus.

SZ: Was machen Sie da gerade? Emmanuel Mogenet: Ich zeige Ihnen, wie maschinelles Lernen funktioniert. Zu seinem Handy: "O. k. Google. Zeig mir Bilder, auf denen ich fische!" Hier sehen Sie: Meine Mutter, mein Sohn, das Meer. Ha, hier! Super Fang!

Ja, Sie fischen auf diesen Bildern.

... und ich musste Google das nie erklären. Das ging ganz automatisch. Immer wenn ich ein Bild gemacht habe, wurde es analysiert. Dieses Feature ist absolut nicht einfach, wir haben sicher zwei bis drei Jahre gebraucht.

Zwei bis drei Jahre? Um einen Fisch auf einem Foto zu erkennen?

Dahinter steht eine unendlich große Rechenleistung. Wissen Sie, wie viele Menschen jeden Tag Fisch-Bilder bei Google hochladen?

Keine Ahnung.

Sehr viele. Und während ein Mensch vielleicht fünf Bilder braucht, um einen Fisch zu erkennen, braucht der Computer eine ziemlich lange Trainingsphase, in der ihm Bilder gezeigt werden. Dazu immer die Information: Hier ist ein Fisch, hier nicht. Das wiederholt man eine Milliarde Mal. Irgendwann macht es Klick.

Der Computer hat das Konzept Fisch verstanden.

Genau. Das ist die Magie. Du zeigst ihm ein Bild, was er nie zuvor gesehen hat. Und er erkennt den Fisch.

Für jemand mit einem menschlichen Gehirn klingt das nicht sehr beeindruckend.

Wir Menschen sind erstaunlich fähige Kreaturen. Vieles von dem, was wir automatisch können, ist für Computer unendlich harte Arbeit. Nicht nur Bild-Erkennung, sondern auch Sprache. Um wie ein Mensch sprechen zu können, braucht der Computer ein semantisches Verständnis der Welt. Er muss verstehen, welche Vorgänge und welche Wörter zusammengehören.

Ihr Chatdienst "Allo" geht in diese Richtung. Wenn man dort ein Bild von einer Mahlzeit geschickt bekommt, schlägt das Programm als Antwort "lecker!" vor.

Genau. Sprache ist aber immer noch ziemlich schwierig - das sehen Sie etwa am Google-Übersetzer. Doch auch hier verändert sich vieles und wir werden bald mit deutlich verbesserten Produkten auf den Markt kommen. Das liegt vor allem daran, dass wir Computer heute ganz anders programmieren als wir das früher konnten.

Was hat sich verändert?

Früher hat man dem Computer jede Regel einzeln beigebracht: Wenn A, dann B, wenn B, dann C. Ich vergleiche das immer mit einem sehr kleinen Kind, dem du ein Rezept erklären willst, aber ganz von vorne anfangen musst: Das ist ein Herd, das ist ein Löffel, das Flüssige da in der Flasche ist Öl. Und so weiter. Heute füttern wir den Computer mit großen Datenmengen und er lernt selbständig daraus.

Wenn Sie sagen, er lernt selbständig: Wird der Computer irgendwann schlauer sein als Sie?

Er ist es längst. Erst vor Kurzem hat ein Computer gegen einen Meister im Brettspiel Go gewonnen - er hatte so viele Partien analysiert, dass er auf einen genialen Zug kam, den kein Mensch je gesehen hatte. Ein anderes Beispiel: Wir versuchen seit Jahren unser Rechenzentrum möglichst effizient laufen zu lassen. Ein gigantisches Zentrum mit Tausenden Knöpfen. Sie können sich vorstellen, dass schon einige sehr fähige Leute versucht haben, es zu optimieren. Der selbstlernende Computer hat es analysiert - und den Energieverbrauch auf einen Schlag um dreißig Prozent gesenkt.

Die Datenmengen, die Sie haben, können eingesetzt werden, um alle möglichen Muster zu erkennen. Werden Sie nicht dauernd von Geheimdiensten auf der Welt angefragt, die nächsten Schritte von Terroristen auszurechnen?

Wenn uns staatliche Stellen auf legalem Weg, beispielsweise durch einen Gerichtsbeschluss, um Informationen bitten, kooperieren wir. So sind die lokalen Gesetze. Ansonsten tun wir das nicht. Ich finde es aber sehr wichtig, dass sich Menschen außerhalb der Tech-World fragen, wie maschinelles Lernen unsere Gesellschaft verändern wird und wie wir mit diesem tief greifenden Wandel umgehen wollen.

Mein Handy hat den Ort, an dem ich nachts bin, als "zu Hause" eingespeichert, mein Büro dagegen als "Arbeit". Es sagt mir, wenn ich mich auf den Weg machen muss, um die letzte Bahn nach Hause zu bekommen. Das fühlt sich nicht nur angenehm an.

Ich kann Ihnen nur sagen: Niemand bei Google kann Ihre Daten einsehen. Sie können diese Daten auch löschen, wenn Sie nicht glücklich damit sind, dass ihr Handy weiß, wo Sie wohnen. Nirgendwo auf der Welt arbeiten so paranoide Menschen wie hier. Die Daten unserer User sind sehr gut verschlüsselt. Wenn sie jemand einsehen will, eine Regierung etwa, wird das genau dokumentiert. Wenn wir das Vertrauen der Menschen verlieren, verlieren wir alles.

Der Plot zum Horrorfilm ist allerdings perfekt. Selbständige Maschinen, die mit allen Informationen gefüttert werden, die es auf der Welt gibt ...

... und dann vernetzen sie sich, schließen die Menschen aus und starten die Zerstörung des Planeten?

So in der Art.

Nur zur Erinnerung: Der Stand auf dem wir jetzt sind, ist, dass ein Computer immer noch Mühe hat, eine Katze auf einem Bild zu erkennen.

Trotzdem. In den vergangenen Jahren hat sich sehr schnell sehr vieles verändert. Sie sagen, die Gesellschaft sollte sich möglichst früh mit dem auseinandersetzen, was da noch kommen könnte.

Ich glaube nicht, dass ich in meiner Lebenszeit Computer sehen werde, die mehr können als Menschen. Der Computer, der Go spielen kann, kann nur Go spielen. Er kann keine Katzen erkennen, er kann kein industrielles Rechenzentrum optimieren. Das sind sehr kleine, abgesteckte Bereiche, in denen die Computer etwas leisten können, was der Mensch nicht kann.

Sie haben noch nie erlebt, dass ein Computer versucht hat, Sie auszusperren?

Nein. Auch ein selbständig lernendes System hat keinen Plan, keinen Überlebensinstinkt, keine Ziele. Es tut, was ihm beigebracht wurde. Das allerdings ziemlich gut.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2016
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