Süddeutsche Zeitung

Kroatien:Vom Glück, die Schulden erlassen zu bekommen

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Von Hans von der Hagen

Nur einmal bitte kurz die Augen schließen. Und sich vorstellen, dass der strenge Herr Schäuble all jenen Menschen einen Neuanfang ermöglichen würden, die kaum mehr haben, als einen Haufen Schulden. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was für ein Sturm der Entrüstung da durch die boomende Republik brausen würde. Wie Ökonomen und Politiker in seltener Einigkeit die Fassung verlieren würden. Die Kroaten hingegen müssen ihre Augen nicht schließen. In diesem rezessionsgeplagten Kroatien macht man jetzt genau das: Dort werden die Schulden unter bestimmten Bedingungen getilgt. Einfach so.

Rund 60 000 Einwohner des Landes können von diesem Montag an gestaffelt über mehrere Monate einen Antrag auf Schuldenerlass stellen - bei Banken, Unternehmen und Behörden. "Neuer Anfang" heißt denn auch das Programm. Das Ziel: mehr Wirtschaftswachstum.

Und nein, es soll damit nicht nachträglich ein übermütiger Lebensstil belohnt werden. Sondern der Schuldenerlass soll einem Teil jener knapp 320 000 Bürger des Landes wieder Luft verschaffen, deren Konten aufgrund ausstehender Zahlungen blockiert sind.

Unternehmen tragen Schuldenerlass mit

Von dem Programm profitieren ohnehin nur jene, deren Schulden nicht über der Grenze von umgerechnet etwa 4550 Euro liegen. Auch darf das Einkommen pro Familienmitglied nur bei gut 160 Euro liegen. Doch das trifft auf rund 60 000 des insgesamt 4,4 Millionen Einwohner zählenden Landes zu, wie der stellvertretende Premierminister Milanka Opacic erläuterte. Zusammengenommen könnte es nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters um eine Summe von bis zu 273 Millionen Euro gehen, die nun nicht mehr zurückgezahlt werden muss. Das zuständige Ministerium nennt bislang offiziell allerdings keine Zahlen.

Man hört förmlich den Bund der Steuerzahler nach Luft schnappen. Doch die Schulden werden nicht nur aus Steuermitteln beglichen, sondern auch von den Unternehmen selbst getragen.

Es sei das erste Mal gewesen, dass überhaupt eine kroatische Regierung dieses "schwierige Problem" angegangen sei "und wir sind stolz darauf", sagte Zoran Milanovic gemäß Reuters während einer Kabinettssitzung.

Möglich, dass das Beispiel auch in anderen Ländern Europas Schule macht. In Griechenland vielleicht. Oder Spanien. Nur in Deutschland nicht.

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