Süddeutsche Zeitung

Konjunktur und Politik in China:Wohlstand für wenige

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Der Erfolg der Kommunistischen Partei in China ist eng an Erfolge in der Wirtschaft gekoppelt. Schlechte Nachrichten über Korruption, ein marodes Bankensystem und schwächelnde Exporte passen da nicht ins Bild. Doch die Formel vom Wohlstand für alle funktioniert nicht mehr - Parteichef Xi Jinping hat deshalb nur eine Wahl.

Ein Kommentar von Christoph Giesen

Er hat nach allem, was man weiß, die Wahrheit ausgesprochen - doch davon wollte in China niemand etwas wissen. Nur einen Tag, nachdem Finanzminister Lou Jiwei verkündet hatte, dass Chinas Wirtschaft nicht mehr so schnell wachsen werde, also nur noch mit sieben Prozent, folgte das Dementi. Sei alles nicht so gemeint.

Die offiziellen Zahlen, die das Nationale Statistikamt an diesem Montag veröffentlichte, sehen auch gleich viel besser aus: 7,5 Prozent Wachstum im vergangenen Quartal. Zweifel an diesem Wert sind aus gutem Grund unerwünscht. Denn das Wohl der Kommunistischen Partei ist eng mit dem Wachstum der Wirtschaft verflochten, ihre Legitimation, die Volksrepublik zu lenken, beruht fast ausschließlich auf ökonomischen Erfolgen. Vom hohen Wachstum hängt der Einfluss der Kader ab, das ganze politische System. Die Herrscher in Peking erkauften sich mit dem Versprechen vom Wohlstand für alle größtmögliche Ruhe im Land. Die Mittelschicht wuchs; Millionen zogen vom Land in die Stadt, wo sie besser verdienten; aus einem der ärmsten Länder der Erde wurde eine Wirtschaftsmacht.

Doch die Formel vom Wohlstand für alle funktioniert zusehends nicht mehr, seit Chinas Wirtschaft in argen Schwierigkeiten steckt. Im Juni brachen die Börsenkurse um 20 Prozent ein, nachdem die Notenbank die laxe Kreditvergabe der Banken einzudämmen versuchte. Im Juni sind auch die Ausfuhren erstmals seit anderthalb Jahrzehnten zurückgegangen.

Zugleich wächst die Sorge, dass das Finanzsystem außer Kontrolle geraten könnte. Die Kredite im Land sind stark angeschwollen, zu stark, und ein großer Teil der Kredite wird dabei nicht mehr von den offiziellen Banken vergeben, sondern von einem obskuren System privater Geldverleiher, den Schattenbanken, die sich staatlicher Kontrolle entziehen.

Gefährliches Wachstum und unbedingter Glaube

Aber ist die Lage wirklich so fragil? Aus westlicher Perspektive betrachtet klingen 7,5 Prozent Wachstum erst mal mehr als komfortabel. Für Chinas Führung sind 7,5 Prozent dennoch gefährlich, nachdem die Wirtschaft Jahr für Jahr in zweistelligen Raten gewachsen ist. Als Konsens galt lange Zeit: Tiefer als acht Prozent darf das Wachstum auf keinen Fall sinken, sonst droht Massenarbeitslosigkeit, weil die hohe Inflation das Wachstum auffrisst.

Der unbedingte Glaube an das Wachstum hat zuletzt schon jede Menge Probleme mit sich gebracht: Die Luftverschmutzung etwa ist desaströs. Kein Land bläst so viele Treibhausgase wie die Volksrepublik in den Himmel, der Smog in den Großstädten ist unerträglich geworden, sodass immer mehr Großstädte nun den Autoverkehr einschränken.

Dem unbedingten Wachstumswillen wurden über Jahre notwendige Veränderungen geopfert, vor allem im Bankensektor, der das letzte Mal vor etwa zehn Jahren reformiert wurde. In China ist das eine halbe Ewigkeit, nun erweist sich das Finanzsystem als überaus fragil. Auch am Immobilienmarkt mit seinen irrwitzigen Preissteigerung ist längt eine Blase entstanden.

Mehr Investitionen, steigende Schulden

Die Volksrepublik bekommt zudem die Spätfolgen der westlichen Finanzkrise zu spüren. Bis zum Zusammenbruch der Wall Street 2008 war das Wachstum in China einigermaßen stabil: Die Ausfuhren stiegen, die Binnennachfrage zog an. Als aber die Nachfrage aus Europa und den USA stagnierte, pumpte die Regierung sehr viel billiges Geld in die Wirtschaft.

Die staatlichen Investitionen stiegen, aber auch die Schulden der privaten Haushalte, Unternehmen und Kommunen: Sie kletterten in den vergangenen fünf Jahren von 100 Prozent des Bruttosozialprodukts auf über 200 Prozent. Mehr als ein Drittel dieser Kredite hat der völlig unregulierte Schattenbankenmarkt vergeben - und niemand kann genau sagen, wie viele Kredite davon faul sind. Kollabiert Chinas grauer Kapitalmarkt, droht dem Land eine Kreditklemme.

Und dann ist da noch die Korruption. Seit Monaten schon spricht Chinas neuer Parteichef, Xi Jinping, davon, gegen die Bakschisch-Wirtschaft der "Fliegen" (kleine Kader) und "Tiger" (mächtige Funktionäre) vorzugehen. Die Korruption ist für das Land und die Wirtschaft eine ähnlich große Bedrohung wie das marode Bankensystem oder der schwächelnde Export. Doch kann die neue Führung es wirklich schaffen, die Korruption merklich einzudämmen? Wohl kaum. Zu groß ist die Angst vor der Bevölkerung, wenn sie erfährt, in welchem Ausmaß Chinas Eliten in den vergangenen Jahren zugegriffen haben.

Parteichef Xi Jinping hat nur eine Wahl: Er muss wirtschaftliche Reformen angehen, nicht zuletzt im Finanzsektor, doch sie müssen einhergehen mit einer politischen Öffnung. China braucht eine freiere Presse, die über die schmutzigen Deals der Kader berichtet und anprangert, wenn die Politik notwendige Reformen versäumt.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2013
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