Süddeutsche Zeitung

Konjunktur in China:Zeitenwende im Wirtschafts-Wunderland

Lesezeit: 3 min

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Schwächstes Wachstum seit 24 Jahren

Erstmals seit 1998 hat China sein Wachstumsziel verfehlt. Die Konjunktur in der Volksrepublik legte im abgelaufenen Jahr zwar um 7,4 Prozent zu - blieb damit aber hinter den Vorgaben der Regierung zurück. Besonders der abgekühlte Immobilienmarkt und die international vergleichsweise schwache Nachfrage nach chinesischen Produkten drückten auf die Wirtschaftsleistung des Landes. Langsamer als 2014 wuchs Chinas Wirtschaft damit zuletzt vor 24 Jahren. Die Regierung hatte als Planziel 7,5 Prozent ausgegeben.

Planziele symbolisieren Machtanspruch der Partei

Der Unterschied zwischen Ist und Soll erscheint gering, gerade im Vergleich zu den deutlich geringeren Wachstumsraten in Europa oder den USA. Doch symbolisierten die Planziele der Zentralregierung in den vergangenen 35 Jahren auch die Eckpfeiler des Machtanspruchs der allein regierenden Kommunistischen Partei: Die Volksrepublik entwickelte ihre eigene Version eines Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem nach Belieben die Konjunktur angeschoben oder gebremst werden konnte. Das Jahr 1998 bildete lediglich eine Ausnahme, weil die Asienkrise den Kontinent erschütterte und China sich nicht gänzlich schadlos halten konnte.

Das Ende der selbstbestimmten Planziele kommt einer Zeitenwende gleich. Die Konjunktur schnitt im vierten Quartal mit einem Plus von annualisiert 7,3 Prozent zwar etwas besser ab als allgemein von Analysten erwartet. Doch das Land hat seine Mittel zur künstlichen Wiederbelebung ausgeschöpft. "Chinas Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten aufgepumpt. Dieses Modell ist jetzt am Ende angekommen", sagt der Makroökonom Yang Zhenxin von Minsheng Securities in Peking.

Problemzone Immobilienmarkt

Der Immobilienmarkt war in den vergangenen Jahren die treibende Kraft des wachsenden Wohlstandes der chinesischen Bevölkerung. Das Prinzip war simpel: Die Zentralbank öffnete den Geldhahn, das Kapital floss in Form von Investitionen in Immobilienprojekte, die Wirtschaftsleistung legte zu. Weil das so einfach funktionierte, sah sich jahrelang niemand in der Pflicht, etwas an dem Kreislauf zu ändern.

Inzwischen gibt es allerdings so viele Wohnungen, dass das Angebot die Nachfrage schon seit einer Weile übersteigt. Die Preise sinken, neue Projekte liegen auf Eis. Immobilienentwickler halten sich mit neuen Investitionen zurück. Darunter leiden neben dem Bau selbst auch andere Sektoren wie die Zement-, Beton- oder Glasindustrie.

Demografie bremst das Wachstum

Eine erneute Konjunktur-Wende mit Hilfe der Zentralbank ist aber aus zwei Gründen unmöglich. Erstens ist die Verschuldung der Kommunen so groß geworden, dass sich die Zentralbank scheut, noch mehr Geld über Bankkredite in die Wirtschaft zu pumpen. Schon jetzt drohen viele der Darlehen zu platzen. Nimmt das Ausfallvolumen Überhand, könnte das Finanzsystem aber in ernste Schwierigkeiten geraten.

Zudem gehen China schlicht die Käufer für die neuen Wohnungen aus. In einer Studie gehen die Ökonomen von Minsheng davon aus, dass die im höchsten Maße an einem Wohnungskauf interessierten jungen Paare im Alter zwischen 20 und 29 Jahren immer weniger werden. "Die Bevölkerungsentwicklung hat ihren Scheitelpunkt überschritten. Die starke Nachfrage für Immobilien im Zuge von Hochzeiten oder zur Verbesserung der Lebensumstände nimmt ab", heißt es in dem Papier. Die Zahl der 20- bis 29-Jährigen liegt derzeit bei knapp 232 Millionen, bis 2025 schrumpft diese Gruppe aber auf 151 Millionen Personen.

Starke Währung erschwert Exporte

Zugleich sind die chinesischen Exporte nicht mehr stark genug, um die großen Ausfälle anderswo im Wirtschaftsmodell auszugleichen. Die Landeswährung Renminbi hat in den vergangenen Jahren so stark zugelegt, dass der Preisvorteil auf dem Weltmarkt dahinschmilzt. Viele Manufakturbetriebe sind aber zu eigenständigen Innovationen und technischen Weiterentwicklungen nicht in der Lage.

Liberalisierung des Finanzsektors stockt

So dürften die Rufe nach schnellen Reformen angesichts der Wirtschaftsdaten immer lauter werden. Die Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Finanzsektor zu liberalisieren, kommt aber nur schrittweise voran. Das Resultat sind Kredite, die weiterhin vornehmlich an träge Staatsunternehmen fließen, die zu wenig für die industrielle Weiterentwicklung Chinas tun.

Die effizienteren Privatunternehmen würden dagegen bei der Kapitalverteilung ignoriert, so die Kritik. Dabei müssten Marktmechanismen die Schlüsselrolle bei der Vergabe von Ressourcen spielen, fordert Professor Li Yining von der Peking-Universität, seit Jahren ein Verfechter der stärkeren Integration des Privatsektors.

Schwäche dürfte sich fortsetzen

Unabhängig vom Reformeifer wird Premierminister Li Keqiang das Wachstumsziel für 2015 wohl auf 7,0 Prozent herunterschrauben. Nicht alle Experten sind aber so optimistisch: Chefökonomin Wang Tao von der Schweizer UBS rechnet mit nur noch 6,8 Prozent im laufenden und 6,5 Prozent im kommenden Jahr. Bis zum Ende des Jahrzehnts hält sie eine Wachstumsrate von 6,0 Prozent für möglich. "Ob das gelingt, hängt von einer angemessenen Umstrukturierung der Wirtschaft ab", kommentierte sie in einer UBS-Notiz.

2015 wird sich China aber zunächst auch auf die übliche Strategie neuer Investitionen verlassen, um einen völligen Einbruch der Konjunktur zu verhindern - auch auf die Gefahr hin, dass sich neue Überkapazitäten und weitere Schulden auftürmen. Die nationale Entwicklungskommission NDRC genehmigte bereits 50 Transportprojekte, die in diesem Jahr begonnen werden sollen. Das Programm hat ein Volumen von 600 Milliarden Yuan, rund 83 Milliarden Euro.

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