Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:"Das ist ein Weckruf"

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Der Welthandelskonflikt kommt deutsche Unternehmen teuer. Die Bundesregierung halbiert ihre Prognose, der jahrelange Boom ist vorbei. Helfen soll ein radikaler Schritt, den Altmaier fordert.

Von Markus Balser

Steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Auftragseingänge, Abschwung, Krise: Ein ganzes Jahrzehnt lang kamen solche Formulierungen in Prognosen deutscher Wirtschaftsminister kaum vor. Die Wirtschaft kannte nur eine Richtung: aufwärts. Im Bundeskanzleramt durften sich die Minister am Mittwochvormittag noch einmal über die positiven Folgen des jahrelangen Booms beugen. Aus dem Finanzministerium kam eine fast schon historische Botschaft: Der Schuldenstand des deutschen Staates sinkt wegen der brummenden Wirtschaft erstmals seit Jahren unter die Maastricht-Grenze des EU-Stabilitätspakts, also unter 60 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.

Doch nur einen Steinwurf vom Kanzleramt entfernt wurde wenig später klar, dass diese Nachricht die vielleicht letzte des Aufschwungs ist. Denn Wirtschaftsminister Peter Altmaier musste in der Bundespressekonferenz das Ende des rasanten Höhenflugs verkünden. Die Bundesregierung halbiert ihre Prognose auf ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum. Sie erwartet damit schon in diesem Jahr harte Folgen der Probleme im Welthandel. "Das ist ein Weckruf", sagte der CDU-Politiker beim Blick auf seine eigene Frühjahrsprognose ziemlich ernst.

Dass nach neun Jahren ununterbrochenen Wachstums die Zeichen auf Abkühlung stehen, liegt vor allem an den wachsenden Problemen im internationalen Handel. Da ist der von US-Präsident Donald Trump gerade noch mal verschärfte Konflikt mit Europa. Die EU sei ein "brutaler Handelspartner" für die USA, wetterte Trump erst vergangene Woche. Der europäische Flugzeugbauer Airbus etwa erhalte unzulässige Subventionen. Im Mai will Trump außerdem entscheiden, ob die USA künftig 25 Prozent Strafzoll auf Autos erheben. Und dann ist da noch das bleibende Risiko eines ungeregelten Brexits. Der Abschwung wird in Deutschland noch dadurch verstärkt, dass in anderen EU-Staaten und in größeren Schwellenländern die Konjunktur ebenfalls schwächelt. Der Wirtschaftsminister sieht mit Sorge, was sich da zusammenbraut. Von den Ressortkollegen forderte er Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Zwar lehnte Altmaier ein staatliches Konjunkturprogramm ab. Die Politik müsse aber dringend darüber nachdenken, wie sie Wachstum anregen könne, forderte Altmaier. Das vorausgesagte Wachstum reiche für eine moderne Volkswirtschaft einfach nicht aus. "Wir brauchen strukturelle Entlastungen und Anreize - und zwar bei Steuern, bei Abgaben und bei Bürokratie", erklärte Altmaier. Doch offenbar gibt es in der Bundesregierung bislang wenig Bewegung. Er habe für einen Bürokratieabbau eine Liste mit 27 Maßnahmen an die anderen Ministerien versandt und werde nach Ostern dazu Gespräche führen, um von seinen Kollegen mehr Zusagen zu bekommen, sagte Altmaier. Das Finanzministerium teilte mit, keine Notwendigkeit für eine Unternehmensteuerreform zu sehen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) warnt seit Längerem vor einem internationalen Wettlauf um niedrigere Steuersätze.

Angesichts des Widerstands auch innerhalb der Regierung gerät Altmaier noch stärker unter Druck. Ihm wurde zuletzt vorgeworfen, viel anzukündigen, aber wenig umzusetzen. Nun wollte Altmaier eigentlich liefern. Doch mehr als eine unkonkrete Ideensammlung legte er nicht vor. Unternehmen sollen nach seinen Vorstellungen in der jetzigen Konjunkturphase nicht zusätzlich belastet werden. Es gehe um "ein Moratorium, bis die Wirtschaft wieder auf einem stabilen Wachstumskurs ist". Gesetze, die Unternehmen belasten, sollten erst später in Kraft treten. Bislang sei es nicht gelungen, Sorgen im Zusammenhang mit der Reform der Grundsteuer auszuräumen. Hier werden deutliche Mehrbelastungen befürchtet. Das könnte auch Firmen treffen. Zudem wollte Altmaier eine steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen erreichen.

Fachleute im Ministerium gehen davon aus, dass die Schwächephase 2020 vorbei ist

Die Bundesregierung erwartet vom Ende des Booms keine schweren Folgen für den Arbeitsmarkt. Der Konsum stützt der Prognose zufolge die Wirtschaft. Die Baubranche brumme. Der Arbeitsmarkt und damit die Löhne entwickelten sich gut. "Die Beschäftigung dürfte bis zum Jahr 2020 auf knapp 45,7 Millionen Personen steigen und damit so hoch liegen wie noch nie zuvor", sagte Altmaier voraus. "Gleichzeitig fällt die Arbeitslosenquote auf den historischen Tiefstand von 4,6 Prozent." Im Wirtschaftsministerium gehen Fachleute davon aus, dass die Schwächephase nur von kurzer Dauer ist. Für 2020 rechnet das Ministerium wieder mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Das allerdings halten Wirtschaftsverbände keineswegs für ausgemacht. Der Industrieverband BDI forderte spürbare Entlastungen, um den Abwärtstrend umzukehren. Die Bundesregierung müsse Investitionsanreize für den Klimaschutz setzen und eine echte Steuerreform in Angriff nehmen, forderte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. "Sie darf keine weitere Zeit verlieren."

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SZ vom 18.04.2019
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