Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Den Armen helfen, nicht den Reichen

Lesezeit: 2 min

Im aktuellen Reichtumsreport der EZB schneidet Deutschland schlechter ab als viele Krisenländer. Das ist eine deutliche Warnung an die deutsche Politik, endlich mehr gegen die Ungleichheit zu tun.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Was die Europäische Zentralbank über die Besitzverhältnisse der Europäer zu berichten hat, wird jeden erstaunen. Im neuen Reichtumsreport der EZB schneiden die Deutschen besonders schwach ab, obwohl sie seit Dekaden die stärkste Volkswirtschaft des Kontinents stellen. Italiener und Zyprioten weisen fast drei Mal so viel mittleres Vermögen auf. Die Deutschen haben weniger als die Einwohner von 80 Prozent der Euro-Nationen. Dabei sieht jeder, wie viel Reichtum in der Bundesrepublik produziert wird. Das Geld ist aber zwischen Arm und Reich extrem ungleich verteilt.

Der Report dürfte Kontroversen entzünden. Warum retteten Nationen wie die Deutschen in der Euro-Krise mit 600 Milliarden Euro Länder, deren Bewohner mehr besitzen? Eine interessante Frage fürs Jahr der Bundestagswahl. Selbst das mittlere Vermögen der Griechen, deren Stützung die Kanzlerin 2017 erneut verhandelt, liegt über jenem der Deutschen.

Die Zentralbanker wissen um die Explosivität ihrer Ergebnisse. Sie veröffentlichten den Report am 23. Dezember, er sollte im Weihnachtstrubel untergehen. Schon die Publikation der ersten Studie mit noch schlechteren Resultaten für die Deutschen verzögerte die EZB 2013 wochenlang, bis die umstrittene Rettung Zyperns beschlossen war - wo das mittlere Vermögen damals fünf Mal so groß war wie das der Bundesbürger.

War die Euro-Rettung also ein Fehler, wie viele empörte Deutsche schon lange denken? Nein. Unter einem Kollaps des Euro hätte niemand so gelitten wie Exportweltmeister Deutschland und seine Beschäftigten, weil die Währungsunion Exporte erleichtert. Zudem zahlten außer den Griechen alle Krisenstaaten die Hilfskredite zurück. Die Deutschen verloren kein Geld. Die EZB-Studie zeigt jedoch, dass die Rettung falsch konstruiert war.

Reiche in Krisenstaaten sollten bei Hilfsaktionen stärker zahlen. Sie haben besonders von der Misswirtschaft profitiert, die zur Euro-Krise führte. Griechenland senkte Steuern für Gutverdiener, während sich der Staat verschuldete. Die politische Klasse ist in allen Krisenstaaten mit Firmenlenkern und Vermögenden verquickt. Daher sollten die Hilfsländer, voran die tonangebende Kanzlerin, eine Belastung jener durchsetzen, die es haben. Stattdessen werden Deutsche und andere Nationen bezahlen, wenn die Griechen Kredite schuldig bleiben.

Der Betrachter fragt sich angesichts des EZB-Reports, warum die Bundesbürger denn so wenig besitzen, obwohl ihre Wirtschaft boomt. Eine Ursache ist Geldanlage. Die Deutschen kaufen wenig Lohnendes, etwa Aktien und Immobilien. Stattdessen lassen sie sich von Finanzkonzernen in Produkte wie Lebensversicherungen drängen, die wenig abwerfen. Bis zu 80 Prozent der Spanier und Italiener wohnen im eigenen Haus, doppelt so viele wie in Deutschland. Statt den Kauf von Aktien und Immobilien massiv zu fördern, privilegieren Bundesregierungen seit Jahrzehnten schlechte Anlagen wie Lebensversicherungen.

Die EZB-Studie ist eine Warnung für die Bundesregierung

Ein weiterer Grund für das geringe Vermögen der meisten Sparer im europäischen Vergleich ist, dass Reich und Arm bei uns so auseinanderklaffen wie nirgends in Euro-Land. Das wuchs historisch, etwa durch all die erfolgreichen Familienunternehmen. Die Deutschen empfanden diese krasse Schieflage vielleicht als erträglich, solange sie sich durch lebenslange Anstellungen bei einer Firma, günstige Mieten sowie steigende Löhne und Renten wirtschaftlich abgesichert fühlten. Doch all diese Sicherheiten bröckeln schon seit Jahren. Jobs werden unsicher, Mieten teurer, Löhne und Renten stagnieren.

Deshalb ist die Bundesregierung gefordert wie noch nie, endlich gegen die Ungleichheit vorzugehen. Indem sie mehr Chancengleichheit in einem Land schafft, in dem Schulabschlüsse stärker von der Herkunft abhängen als woanders. Und indem sie Reiche stärker belastet, damit Geringverdiener und Mittelschichtler durch weniger Steuern und Abgaben mehr von ihrem Einkommen behalten - und dadurch mehr Vermögen bilden können.

Die etablierten Parteien in Deutschland ignorierten lange, welche Unzufriedenheit unsichere Jobs, teure Mieten sowie stagnierende Löhne und Renten auslösen. Und wie das Rechtspopulisten Wähler zutreibt. Die EZB-Studie ist eine weitere Warnung, endlich eine faire Politik einzuschlagen, die alle am Wohlstand beteiligt - nicht nur die Reichen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3309775
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.12.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.