Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Gesucht: Schweigender Kellner

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Das Kanzleramt sucht eine neue Servicekraft - und nutzt die Gelegenheit, sich als moderner Arbeitgeber zu zeigen.

Von Lea Hampel

Beim Anblick des Tores vor dem Kanzleramt klingt bis heute ein Satz im Ohr: "Ich will hier rein." Das rief Gerhard Schröder in jungen Jahren in Bonn. Nun steht das Kanzleramt längst in Berlin und Schröder außerhalb des politischen Konsenses, und Kanzlergeschäfte werden nicht mehr aus einer Architekturikone, sondern einem als "überdimensionierte Waschmaschine" bezeichneten Klotz getätigt. An jenem Tor in Berlin aber müsste derzeit "Kommt hier rein" stehen. Das Amt sucht einen Mitarbeiter, und das in einer Branche, die stark vom Fachkräftemangel betroffen ist.

"Ser­vice­kraft im Ser­vice- und Kü­chen­be­reich des Kanz­ler­bü­ros" steht auf der Website des Bundes, mit anderen Worten: ein Kellner für den Kanzler. "Sie sind für die gastronomische Betreuung des Bundeskanzlers, des Chefs des Bundeskanzleramtes und der Staatsministerinnen/des Staatsministers sowie in- und ausländischer Gäste zuständig". Wer den Job innehat, muss Speisen und Getränke zubereiten, servieren und "Festlichkeiten, Veranstaltungen und Konferenzen" mit ausrichten.

Dabei präsentiert sich das Bundeskanzleramt modern: Männlich, weiblich und divers darf der Arbeitnehmende sein. 3124 Euro verdient man in der angegebenen Besoldungsklasse in Berlin im Schnitt. Der Chef und Staatschef verdient seit der jüngsten Diätenerhöhung 30 189,81 Euro. Der Gehaltsabstand zwischen dem, der mittags das Steak serviert und dem, der es isst, dürfte in sehr vielen Unternehmen der freien Wirtschaft größer sein.

Kommt Trinkgeld dazu?

Sonst verdienen Servicekräfte eher im Jahr, was der Kanzler im Monat erhält. Dass das hier anders ist, dürfte gute Gründe haben. Der Job gilt formell zwar als "Einfacher Dienst", wie auch die Anzeige besagt. Tatsächlich aber ist das Bedienen von Menschen mit Essen ohnehin ein fehleranfälliger Akt: Teller von links, welches Besteck, wann wegnehmen, wem zuerst servieren? Als Kanzlerkellner muss man darüber hinaus vieles können. Und "Absolute Verschwiegenheit" steht auch in der Jobbeschreibung.

Ein paar Fragen bleiben offen: Die Löhne sind im Service auch niedrig, weil oft Trinkgeld dazu kommt. Wie genau darf man sich das hier vorstellen? Und: Verrät es etwas über die Prioritäten des Kanzlers, dass er zunächst jemanden für dreckige Tischdecken und Servietten gesucht hat - "Scholz sucht Experten für schmutzige Wäsche" lautete die findige Überschrift der Bild -, bevor er den Küchenservice neu besetzt? Und überhaupt: Schon Vorgängerin Angela Merkel hatte einen zweiten Koch angestellt, warum will er noch mehr Personal? Im Amt hieß es damals, die Zahl der Veranstaltungen steige. Mehr Krisengespräche, mehr Kochen und Kellnern im Kanzleramt, lautete die Formel, die sicher noch gilt. Unter Scholz aber könnte das einen profaneren Grund haben: Im Gegensatz zu Merkel nutzt er die Dienstwohnung. Und wie CDU-Politiker Wolfgang Bosbach mal verriet, erreicht man die Küche des Apartments nur, indem man zwei Besprechungsräume durchquert. Vielleicht will sich Scholz schlicht den ein oder anderen Gang sparen - und dennoch mehrere Gänge essen.

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