Süddeutsche Zeitung

IWF-Prognose:Corona-Krise verschärft globale Ungleichheit

Lesezeit: 3 Min.

Ärmere Länder leiden besonders unter der Seuche, warnt der IWF. Die reichen Staaten leisten sich milliardenschwere Hilfsprogramme - und impfen früher.

Von Bastian Brinkmann

Trifft die Corona-Pandemie die Menschen wirtschaftlich härter als die Finanzkrise? Das kommt darauf an, wo sie wohnen. In den Industrieländern war der Wirtschaftseinbruch dramatisch, aber verglichen mit der Finanzkrise kommen sie wirtschaftlich schneller wieder vom Fleck. Hier hat die Politik schnell eingegriffen und milliardenschwere Hilfsprogramme mobilisiert, lobt der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Möglichkeiten hätten Schwellen- und Entwicklungsländer dagegen nicht gehabt. Zudem litten sie mitunter heftiger unter dem Virus. Daher werden im Aufschwung nach der Krise die reichen Länder die armen abhängen, warnt der IWF in seiner neuen Prognose für die Weltwirtschaft.

Für die Welt insgesamt schätzt der IWF das Wirtschaftswachstum für 2021 zuversichtlicher ein als vor einem Jahr, sagt Chefökonomin Gita Gopinath: "Wir gehen nun von einer stärkeren Erholung der Weltwirtschaft aus." Um rund sechs Prozent könnte das globale Bruttoinlandsprodukt wachsen. Im Vorjahr ist die Weltwirtschaft laut IWF um 3,3 Prozent geschrumpft. Das ist für den Globus ein erschreckend tiefer Einschnitt, denn Schwellen- und Entwicklungsländer sind auf weit höhere Wachstumsraten angewiesen, als es das schon reiche Europa gewöhnt ist. Nur mit starkem Wirtschaftswachstum kann die Armut in diesen Staaten weiter zurückgehen.

Das globale Minus fällt mit 3,3 Prozent immerhin geringer aus, als es der IWF noch im Mai 2020 befürchtet hatte. Damals hatte der Internationale Währungsfonds erwartet, dass die Weltwirtschaft sogar um mehr als fünf Prozent schrumpfen könnte. Konjunkturprognosen sind - übrigens wie die Modelle der Epidemiologie - immer nur Voraussagen, die auf Zahlen, Statistik und Erfahrungen der Vergangenheit beruhen. Auch für Ökonominnen und Ökonomen ist es die erste Pandemie. Das Wirtschaftsverhalten von acht Milliarden Menschen angesichts der Seuche vorherzusagen, ist komplex.

Sollte die Grafik auf Ihrem Gerät nicht korrekt angezeigt werden, klicken Sie bitte hier.

Für Deutschland rechnet der IWF nun damit, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 3,6 Prozent wächst. Diese Prognose ist etwas optimistischer als die des Sachverständigenrats: Die sogenannten Wirtschaftsweisen rechnen mit einem Plus von 3,1 Prozent. Der IWF betont, dass potenzielle Anti-Corona-Maßnahme gegen die dritte Welle hierzulande in dieser Schätzung noch nicht berücksichtigt sind - auch der Internationale Währungsfonds aus Washington weiß nicht, was die Bundes- und die Landesregierungen noch beschließen werden. Wirtschaftlich ist zudem relevant, ob die Bundesregierung ihre Konjunkturhilfen noch verändert, auch das fehlt in dieser IWF-Prognose.

Dass der IWF die Prognosen für die Weltwirtschaft angehoben hat, liegt vor allem an den großen Volkswirtschaften, erklärt Chefökonomin Gopinath. Den größten Sprung in der Schätzung machen die Vereinigten Staaten, dort werden die Corona-Konjunkturpakete in Billionen Dollar gerechnet, nicht in Milliarden (ja, wirklich Billionen - auf Englisch also "trillion dollar"). Die USA werden somit als einziger Industriestaat trotz Pandemie 2022 eine wirtschaftliche Größe haben, wie sie schon vor Ausbruch der Seuche prognostiziert wurde. Alle anderen großen Volkswirtschaften schaffen das laut IWF nicht, sie werden länger brauchen, den volkswirtschaftlichen Schaden der Corona-Krise wieder auszugleichen.

Unter den Schwellen- und Entwicklungsländern sticht China heraus. Der IWF erwartet 2021 dort ein Wachstum von 8,4 Prozent. Das Land hat schon im Vorjahr den Wirtschaftseinbruch durch die Pandemie ausgleichen können - und enteilt dadurch anderen Staaten, die bislang einen ähnlichen Wachstumspfad verfolgt hatten.

Auch langfristig zeigt sich, wie sehr die Seuche die armen und die reichen Länder spaltet. Verglichen mit den Vor-Corona-Prognosen für die Wirtschaftsleistung je Einwohner verlieren die Industriestaaten bis 2024 geschätzt nur 2,3 Prozent. Für die Schwellenländer taxiert der IWF diesen Wert auf 4,7 Prozent, also doppelt so hoch. Für die Staaten mit den niedrigsten Einkommen ist der Wert noch mal höher: 5,7 Prozent. "Dieses Auseinandergehen in der wirtschaftlichen Erholung wird wahrscheinlich zu größeren Unterschieden im Lebensstandard zwischen den Ländern führen, als dies vor der Pandemie der Fall war", warnt IWF-Chefökonomin Gopinath.

Die Wirtschaftsdaten mancher Länder sehen aus, als habe dort Krieg geherrscht

Am stärksten litten Staaten, die besonders vom Tourismus abhängig seien, so der Internationale Währungsfonds. Die Wirtschaftsleistung dieser Länder ist 2020 oft zweistellig eingebrochen und soll sich 2021 nur wenig erholen. Das betrifft beispielsweise Mauritius, die Seychellen, Jamaika und Fidschi. Auf den Malediven ist das Bruttoinlandsprodukt 2020 regelrecht implodiert und lag laut IWF um ein Drittel niedriger als im Jahr davor - solche extremen Abstürze erleiden Länder eigentlich nur in Kriegszeiten.

Der IWF mahnt, dass alle Menschen weltweit die Chance bekommen müssen, geimpft zu werden. "Während einige Länder bis zu diesem Sommer flächendeckend impfen werden, werden vor allem einkommensschwache Länder wahrscheinlich bis Ende 2022 warten müssen", sagt Gopinath. Wie die Konjunkturpakete ist auch der Impfstoff global ungleich verteilt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5256238
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.