Süddeutsche Zeitung

Investitionsklima:Der Putschversuch verschreckt die Unternehmen

Lesezeit: 4 min

Von Björn Finke

Es ist ein Idyll im hektischen Istanbul. Die Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer residiert in einem historischen Holzhaus im Park der Sommerresidenz des deutschen Botschafters. Vom nahen Bosporus weht oft ein angenehmer Wind. Doch der Wochenstart war für Jan Nöther, den Chef der Kammer, alles andere als idyllisch. "Ich hatte viele Gespräche. Unternehmer wollten wissen, wie es nach dem Putschversuch weiter geht", sagt der 51-Jährige am Telefon. Dafür hat er am Dienstag mehr Zeit, denn eine Gruppe deutscher Unternehmer, die sich vor Ort über Investitions-Chancen in der Türkei informieren wollten, hat ihren Besuch abgesagt - aus Sorge um die Sicherheit.

Der Kammer-Geschäftsführer glaubt, dass der vereitelte Staatsstreich der Wirtschaft schaden wird: "Das wird manche Manager abschrecken", sagt er. Bereits vor dem turbulenten Wochenende hätten ausländische Firmen Investitionen zurückgestellt, wegen der Sicherheitslage und des politischen Klimas.

Die Türkei wurde in den vergangenen Monaten von Terroranschlägen erschüttert. Zudem ist der Bürgerkrieg gegen die kurdischen Separatisten im Südosten des Landes wieder aufgeflammt, und Präsident Recep Tayyip Erdoğans autoritäres Auftreten verstört die europäischen Partner. Jetzt also noch eine Rebellion von Teilen der Armee: Direkt nach dem Putschversuch verlor die Währung, die türkische Lira, fünf Prozent ihres Wertes, erholte sich aber zu Wochenanfang wieder. Dafür fielen die Kurse an der Istanbuler Börse deutlich. Am Dienstag senkte die türkische Zentralbank die Zinsen, bereits den fünften Monat in Folge, um die Konjunktur mit billigem Geld zu stützen.

Die Türkei ist die Handelsdrehschreibe der Region

Es ist gar nicht lange her, dass die Türkei als Musterbeispiel eines erfolgreichen Schwellenlandes galt. Seit 2002 führt die konservative Partei AKP von Präsident Erdoğan das Land, und ihre Wirtschaftsbilanz war lange Zeit beeindruckend. Das ist ein wichtiger Grund, wieso so viele Türken die Führung unterstützen, trotz des zunehmend autoritären Kurses. Vorher kamen und gingen Regierungen, Reformen wurden angekündigt und wieder abgesagt. Die Konservativen brachten Stabilität, drückten die Staatsschulden auf nur noch 33 Prozent der Wirtschaftsleistung; die Inflation, früher auch mal dreistellig, liegt im hohen einstelligen Prozentbereich.

In den Jahren 2010 und 2011 wuchs die Wirtschaft jeweils um neun Prozent, ausländische Unternehmen investierten Milliarden. Sie lockte die junge, konsumfreudige Bevölkerung - inzwischen leben hier 79 Millionen Menschen - und die günstige Lage. Die Türkei ist die Handelsdrehscheibe der Region und das Tor zu den öl- und gasreichen Nachbarstaaten. Die Zollunion mit der EU erleichtert Geschäfte mit Europa. Der Autozulieferer Robert Bosch, schon seit 1910 im Land, hat enge Beziehungen, seit den sechziger Jahren fertigen MAN und Daimler Busse vor Ort. Siemens hat 3000 Angestellte, Hugo Boss lässt in Izmir 4000 Menschen für sich schneidern.

Deutschland ist einer der engsten Handelspartner, und deutsche Unternehmen zählen zu den bedeutendsten Investoren. Insgesamt steht die Industrie für ein Viertel der Wirtschaftsleistung, ganz ähnlich wie in Deutschland. Der Tourismus kommt nur auf vier Prozent der Wirtschaftsleistung, ist aber sehr wichtig als Quelle von Devisen und Jobs für Geringqualifizierte. Da schmerzte es, dass Russland Bürgern den Urlaub in dem Land untersagte, nachdem die Türkei einen russischen Kampfjet abgeschossen hatte. Erst jüngst hob Moskau das Liegestuhl-Embargo wieder auf. Doch die Terroranschläge reichen ohnehin schon, um Hoteliers und Restaurants die Geschäfte zu vermiesen.

Im vorigen Jahr wuchs die türkische Wirtschaft nur mit vier Prozent, in diesem Jahr soll es noch weniger sein. Ausländische Firmen hielten sich zuletzt mit Investitionen zurück. Das sei zum einen Folge des unsicheren politischen Klimas, sagt Kammer-Chef Nöther, etwa nach der Niederschlagung der Proteste im Istanbuler Gezi-Park 2013. "Zum anderen haben andere Länder im Wettbewerb um Investitionen aufgeholt", sagt er. Rivalen seien zum Beispiel Bulgarien oder Tschechien.

In der Türkei zu fertigen, ist teurer geworden: So stieg zu Jahresanfang der Mindestlohn um satte 30 Prozent. "Wenn dadurch in einer Fabrik die Löhne für die Geringqualifizierten steigen, müssen die Unternehmen auch die Löhne besser bezahlter Mitarbeiter erhöhen", sagt Nöther.

Türkei muss mehr in Bildung investieren

Fachleute sprechen von der berüchtigten "Middle-Income-Trap" für Schwellenländer; die Staaten sind bei einem mittleren Wohlstands-Niveau gefangen. Solange die Länder arm und die Löhne niedrig sind, investieren Ausländer gerne dort, die Wirtschaft wächst rasant. Dadurch steigen Wohlstand und Gehälter - so lange, bis die Investoren, die billige Standorte suchen, weiterziehen. Die Regierungen müssen das Land attraktiv für die Fertigung höherwertiger, innovativer Produkte machen, um andere Unternehmen anzuziehen. Doch das ist schwer. Nötig dafür sind etwa ein besseres Bildungssystem - und natürlich politische Stabilität.

Passenderweise präsentierte die Organisation OECD wenige Stunden vor dem Putschversuch eine Studie zur Türkei. Sie ruft die Regierung dazu auf, mehr in Bildung zu investieren und die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Allerdings suspendierte die Regierung nach dem gescheiterten Staatsstreich 15 000 Mitarbeiter des Bildungsministeriums und enthob gut 2700 Richter ihrer Ämter. Kammer-Chef Nöther ist beunruhigt: "Das sind radikale Schritte. Diese Richter brauchen erfahrene, gut ausgebildete Nachfolger, wenn das Justizsystem nicht leiden soll."

Die Türkei ist auf ausländisches Kapital angewiesen

Der Deutsche sieht die Middle-Income-Trap ebenfalls als Gefahr. Die Türkei benötige mehr Innovationen und topmoderne Fabriken, sagt er. "Aber die kommen vor allem durch ausländische Unternehmen ins Land, weswegen mich die Zurückhaltung der Investoren mit großer Sorge erfüllt." Doch gebe es einen großen Unterschied zwischen ausländischen Firmen, die bereits vor Ort tätig sind, und Unternehmen, die das Land gar nicht kennen. "Die Firmen, die schon hier sind, halten an ihren geplanten Investitionen fest", sagt er. "Sie sehen die großen Möglichkeiten, die dieser strategisch gelegene Markt bietet." Neue Investoren hingegen zögerten jetzt.

Dabei ist das Land auf stete Zuflüsse ausländischen Kapitals angewiesen. Die Staatsverschuldung ist zwar gering, doch die Türkei führt notorisch viel mehr ein als aus. Die Devisenreserven der Notenbank sind darum gering, die Verschuldung türkischer Unternehmen im Ausland ist hoch. Nicht nur die politische Lage ist also heikel.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2016
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