Süddeutsche Zeitung

Insolvenz:Wie es bei Air Berlin jetzt weitergeht

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Von Jens Flottau, Frankfurt

Die einst zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands ist seit heute vor allem eins: Verhandlungsmasse. Drei Monate hat Air Berlin-Chef Thomas Winkelmann nun Zeit, mit Interessenten über die Zukunft des Konzerns zu verhandeln, genauer gesagt: Über die Zukunft dessen, was andere Fluggesellschaften von Air Berlin noch haben wollen. Die Airline betreibt derzeit eine Flotte von etwa 140 Flugzeugen. 38 davon, mitsamt den dazugehörigen Besatzungen, fliegen bereits seit Februar für die Lufthansa. Es gilt als ausgemachte Sache, dass sie in irgendeiner Form von Lufthansa übernommen werden. Es bleibt also eine Flotte von etwa 100 Maschinen bei Air Berlin und ihrer österreichischen Tochtergesellschaft Niki, die neu verteilt werden sollen. Lufthansa werde, so ein Insider, für so viele zusätzliche der 100 übrigen Maschinen bieten, wie sie bekommen kann.

Vor allem rechtlich ist die Übernahme jedoch kompliziert. Lufthansa hat kein Interesse daran, tatsächlich Unternehmensteile von Air Berlin zu kaufen. Stattdessen kauft sie allenfalls Flugzeuge, aber auch diese nicht von der Airline selbst, sondern von den Leasinggesellschaften, denen die Maschinen gehören. Die könnten dann künftig für die Lufthansa-Billigsparte Eurowings eingesetzt werden, wo auch den bisherigen Air-Berlin-Mitarbeitern neue Arbeitsverträge angeboten würden.

Die Menge hängt allerdings nicht nur von den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Unternehmen, sondern auch von den Wettbewerbsbehörden ab. Die wenigsten rechnen jedoch damit, dass das Bundeskartellamt massiv interveniert. Wie schon bei dem Miet-Geschäft dürfte sich die Behörde auf den Standpunkt stellen, dass ja keine Unternehmensteile, sondern nur Flugzeuge und Mitarbeiter übernommen werden. In Branchenkreisen ist zu hören, dass Lufthansa bis zu 80 zusätzliche Jets für genehmigungsfähig hält. Für Easyjet würden dann noch etwa 20 bleiben. Womöglich werden es am Ende aber weniger für Lufthansa und mehr für die Billig-Airline. Branchenkenner gehen zudem davon aus, dass nicht alle dauerhaft unterkommen werden. Sie glauben, dass langfristig etwa 30 Flugzeuge weniger als bisher den deutschen Flugmarkt bedienen.

Lufthansa hat vor allem Interesse daran, Eurowings schnell zu vergrößern. Schon jetzt ist die Airline nach Ryanair und Easyjet der drittgrößte Billig-Anbieter in Europa. Das Unternehmen hat es vor allem auf die Standorte Düsseldorf und Berlin abgesehen. In Düsseldorf betreibt Air Berlin ein relativ dichtes Langstreckennetz nach Nordamerika und in die Karibik. Diese Flüge könnten künftig unter der Marke Eurowings fortgeführt werden. Damit hätte der Lufthansa-Konzern neben Frankfurt, München, Wien, Zürich und Brüssel einen weiteren Standort für Langstreckenflüge geschaffen. Easyjet hingegen ist ausschließlich am Europaverkehr interessiert, hat sich bislang aber in Deutschland wie Ryanair schwergetan - auch wegen der Präsenz Air Berlins. Die Basis in Hamburg will Easyjet sogar wieder aufgeben.

Wem gehört Niki überhaupt? Air Berlin oder Etihad?

Die meisten der rund 8500 Air-Berlin-Mitarbeiter können zwar damit rechnen, dass sie auch in Zukunft einen Arbeitsplatz haben, müssen sich aber auf erhebliche Gehaltseinbußen einstellen. Sowohl die Lufthansa-Tochter Eurowings als auch Easyjet zahlen teilweise deutlich weniger als Air Berlin. In einem internen Schreiben an die Mitarbeiter heißt es, alle Beteiligten arbeiteten "mit Hochdruck an einer Lösung, um unseren Flugbetrieb in einen sicheren Hafen zu führen. Unser Ziel ist es, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern."

Für die nächsten drei Monate übernimmt die Bundesagentur für Arbeit Gehälter bis zu einer Höhe von 6350 Euro. Bei höheren Gehältern etwa von Piloten will Air Berlin die Differenz übernehmen, allerdings müssen der Idee noch der Gläubigerausschuss und der neue Generalbevollmächtigte Frank Kebekus zustimmen, der das sogenannte Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung überwacht. Unklar ist, wie mit den Mitarbeitern von Niki bei einer Übernahme verfahren wird, denn derzeit ist sogar umstritten, wem Niki eigentlich gehört: Air Berlin oder ihrem ehemaligen Hauptaktionär Etihad.

Dass das wahrscheinliche Verschwinden von Air Berlin generell zu höheren Ticketpreisen führen wird, halten Branchenexperten für unwahrscheinlich. Nachdem Air Berlin in den vergangenen Jahren die Kapazität deutlich eingedampft hat, gibt es ohnehin nur eine überschaubare Menge von Strecken, auf denen sie mit Lufthansa oder Eurowings direkt konkurriert. Auf diesen könnten nun kurzfristig höhere Preise drohen. Allerdings bedeutet der Wegfall der offensichtlichen Überkapazitäten bei Air Berlin auch eine Chance für andere, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen - zum Beispiel für Easyjet. Die finanzstarken Briten dürften dann auch für Lufthansa ein deutlich unangenehmerer Konkurrent werden als die schwache Air Berlin.

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