Süddeutsche Zeitung

Heinrich von Pierers Kritik an BenQ:"Natürlich geht mir das nahe"

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Der Siemens-Aufsichtsratschef im SZ-Interview über das Vorgehen der Taiwanesen, die umstrittene Gehaltserhöhung und die Abwanderung von Arbeitsplätzen.

Markus Balser und Marc Beise

Siemens übt nach dem Aus der ehemaligen Handy-Sparte harte Kritik an BenQ. Das Vorgehen des taiwanesischen Konzerns widerspreche Vereinbarungen, sagte Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer der Süddeutschen Zeitung. Bei der umstrittenen Erhöhung der Vorstandsgehälter verteidigt Pierer seine Position.

SZ: Herr von Pierer, die Nachricht von der Pleite der früheren Siemens-Handy-Sparte unter der Regie von BenQ erhitzt die Gemüter in Deutschland. Es kommt zu wütenden Protesten gegen Siemens. Politiker sprechen von einer "großen Sauerei". Wurden die Beschäftigten hintergangen?

Pierer: Der Beschluss kommt für mich genauso überraschend wie für die Öffentlichkeit, und ich kenne auch noch nicht alle Details. Klar ist, dass das Vorgehen nicht der Vereinbarung zwischen Siemens und BenQ folgt. Das Management hat sich die Entscheidung damals nicht leicht gemacht. Ich habe im Aufsichtsrat verfolgt, dass es Gespräche mit mehreren Interessenten gab. Den Ausschlag für BenQ gab dann die Zusicherung, die Produktion in Deutschland zu übernehmen.

SZ: Sie selbst haben noch als Vorstandschef um den Erhalt des Handy-Werks Kamp-Lintfort gekämpft. Die Verlängerung der Arbeitszeiten dort löste eine bundesweite Diskussion aus. Nun scheint alles umsonst. Alle Stellen in Deutschland stehen zur Disposition.

Pierer: Siemens hat BenQ zum Start nach Möglichkeit unterstützt. Es ist ja bekannt, dass das Unternehmen 350 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, zum Beispiel um BenQ Investitionen in Patente zu ermöglichen. Noch ist ja nicht entschieden, wie es mit den Standorten weitergeht. Aber natürlich geht mir das nahe, denn wir haben lange um den Erhalt des Werkes in Kamp-Lintfort gerungen.

SZ: Die Nachricht schockiert auch vor dem Hintergrund der kürzlich bekannt gewordenen massiven Gehaltserhöhung für die Vorstände in Höhe von zusammengerechnet rund 30 Prozent. Bereits dies hatte eine Welle der Kritik ausgelöst - in der Belegschaft und auch bei anderen Wirtschaftsführern. Haben Sie als verantwortlicher Aufsichtsratschef das Klischee gieriger Manager zu leichtfertig bedient?

Pierer: Das sehe ich anders. Diese Gehaltserhöhungen waren fällig, dabei bleibe ich. Die Gehälter sind drei Jahre nicht erhöht worden. Das lag auch am Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz. Mein Vorgänger wollte nicht in der letzten Amtsphase noch größere Gehaltsmaßnahmen durchführen, und ich wollte das nicht als Erstes.

SZ: Dafür haben Sie jetzt umso heftiger agiert.

Pierer: Ich hatte doch gar keine andere Wahl. Wir haben uns mit der Frage schon vor einem Jahr beschäftigt und beim Rückblick festgestellt, dass wir in der Bezahlung der Vorstände im Dax-Vergleich zurückgefallen sind. Externe Gutachten haben das bestätigt. Wir sind nicht Treiber der Managergehälter in Deutschland, sondern folgen einer allgemeinen Entwicklung.

SZ: Mehr Geld für gute Leistung, dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Aber gerade wenn man zurückschaut, sieht man sinkende Gewinne, eine viel schlechtere Kursentwicklung als beim Dax, viele Baustellen und Arbeitsplatzabbau. Wo also hat dieser Vorstand mehr Geld verdient?

Pierer: Ob der Vorstand eine gute Arbeit macht, können Leute von außen doch nur sehr schwer beurteilen. Das muss man, so glaube ich, eher dem Aufsichtsrat überlassen.

SZ: Ein Maßstab wäre zum Beispiel der Aktienkurs, also der Wert des Unternehmens.

Pierer: Wir können die Beurteilung des Managements nicht nur vom Aktienkurs und dem Wohlwollen der Finanzmärkte abhängig machen. Entscheidend ist ein hoher erfolgsabhängiger Bestandteil der Vergütung - und dafür gibt es eine Reihe von Kriterien. Außerdem liegen die Bezüge bei Siemens in Deutschland nach wie vor nur im Mittelfeld.

SZ: Dann bieten wir als Maßstab die Frage an, ob das Management den Konzern gut führt. Niedrigere Gewinne, Arbeitsplatzabbau in Krisensparten - noch immer sind viele Bereiche von ihren Margenzielen weit entfernt. Liegt nicht die eigentliche Bewährungsprobe noch vor dem Unternehmen?

Pierer: Wie kommen Sie darauf? Dieses Unternehmen ist auf einem guten Weg. Wir haben viele Bereiche, in denen hervorragend gearbeitet und verdient wird, zum Beispiel die Medizin-, Automatisierungs- und Energietechnik und die Energiesparten. Die Liste ließe sich verlängern. Und überhaupt: Ich kann doch keinen Vorstand von der Restrukturierung abhalten und ihm sagen: Wenn du nötige Maßnahmen durchziehst, wirst du im Vergleich zu anderen schlechter bezahlt: Das geht doch nicht.

SZ: Sie fühlen sich ungerecht behandelt?

Pierer: Das Thema ist viel komplexer. Im Moment konzentriert sich alles auf Siemens und nimmt den Rest der Welt gar nicht mehr zur Kenntnis. Wir spielen eben nicht in der bayrischen Landesliga, sondern in der Champions-League. Und da werden Spitzenkräfte anders bezahlt. Gerade in schwierigen Phasen brauchen Sie die besten Leute. Und auch beim Stellenabbau muss man differenzieren.

SZ: Differnzieren? In den Krisensparten SBS und Com müssen gerade mehrere tausend Beschäftigte gehen.

Pierer: Siemens ist ein lebender Organismus. Wer alles nur bewahren will, wird am Ende alles verlieren. Im Konzern wird an einer Stelle auf- und an einer anderen abgebaut. Insgesamt haben wir heute weltweit 475000 Mitarbeiter - so viele wie noch nie in der Geschichte des Konzerns.

SZ: Löst es bei Ihnen denn überhaupt keine Selbstzweifel aus, wenn neben der Kritik aus Politik und Belegschaft auch in der Wirtschaft kritische Stimmen laut werden?

Pierer: Doch, das gibt mir zu denken.

SZ: Über sich selbst oder über Ihre Kritiker?

Pierer: Ich bedaure sehr, dass das Thema zu so hitzigen Diskussionen geführt hat. Natürlich nehme ich vor allem die vielen internen Stimmen sehr ernst, die mich zum Teil sehr betroffen machen. Die Kritik geht zum Teil an der Sache vorbei. Denn wir sind zwar beim Lohnniveau in Deutschland ganz weit vorne. Aber bei den Managergehältern nicht. Niemand will amerikanische Verhältnisse. Ich schon gar nicht. Aber wenn mir Vorstände erklären, dass sie bei kleineren deutschen Firmen viel mehr verdienen könnten, stimmen die Relationen nicht mehr.

SZ: Die Spekulationen über ein Zerwürfnis zwischen Ihnen und Konzernchef Klaus Kleinfeld reißen nicht ab. Sehen Sie Ihr Lebenswerk in Gefahr, weil er den Konzern zu radikal umbaut?

Pierer: Wir führen sachbezogene Diskussionen im Aufsichtsrat und die Gerüchte über ein Zerwürfnis möchte ich ein für allemal beenden: Das ist Unsinn. Es wird immer übersehen, dass es auch unter meiner Regie gravierende Einschnitte gegeben hat. Wir haben das Computergeschäft ausgegliedert, die Halbleiter als Infineon und das Militärgeschäft abgespalten.

Richtig ist: Das Tempo des Managements hat sich geändert. Früher gab es eine größere öffentliche Geduld. Heute kann sich ein Unternehmen lange Schwächephasen auch in Teilbereichen nicht mehr leisten. Und natürlich ist auch der Druck der Finanzmärkte gewachsen. Teils zu Recht: Wenn die Situation Einschnitte fordert, macht es keinen Sinn, gutem Geld schlechtes hinterherzuwerfen.

SZ: Haben Sie Ihrem Nachfolger also zu viele Baustellen hinterlassen?

Pierer: In einem Unternehmen wie Siemens wird es immer ungelöste Probleme geben. Das Handy-Thema war sicher eins. Deshalb musste Herr Kleinfeld tief greifende Veränderungen vornehmen. Wandel wird bei Siemens aber auch in Zukunft Teil der Normalität bleiben. Die Entwicklung wird weiter gehen.

SZ: Als Dauerproblem gilt bei Siemens der Transrapid. Der schwere Unfall im Emsland ist ein weiterer Rückschlag für die einstige Vorzeigetechnik.

Pierer: Das war ein fürchterliches Unglück. Was dort passiert ist, macht auch mich stark bewegt. Alle Beteiligten müssen das Unglück jetzt aufarbeiten und herausfinden, was die Ursache war.

SZ: Ist der Transrapid in Deutschland noch zu vermitteln?

Pierer: Ich glaube schon. System und Technik haben ja offenbar nicht versagt. Aus meiner Sicht ist es in Ordnung. Aber ich möchte in dieser Situation nicht über die Trasse in München oder den Ausbau der Strecke in China spekulieren. Erst nach einer Aufarbeitung werden wir darüber weiterreden.

SZ: Der Transrapid steht für ein deutsches Problem. Aus Grundlagenforschung werden keine marktreifen Produkte. Mit dem Rat für Innovationen und Wachstum wollen Sie das ändern. Wie?

Pierer: In Deutschland ist die Forschungslandschaft stark gespalten. Wir trennen zu sehr zwischen öffentlicher Grundlagenforschung und privater Forschung und Entwicklung in Unternehmen. Da müssen wir Berührungsängste abbauen und Forscher zum Beispiel stärker zu Firmengründungen ermuntern. Es kann doch nicht sein, dass es in einem Land wie Israel mit fünf Millionen Einwohnern absolut mehr Firmengründer gibt als hier. Wirtschaft und Bundesregierung müssen ihre finanziellen Anstrengungen zudem deutlich erhöhen.

SZ: Konzerne fordern mehr Geld vom Staat. Die Industrie aber globalisiert ihre Forschung. Warum sollte die Bundesregierung das finanzieren?

Pierer: Natürlich entstehen heute bei Siemens Forschungszentren in Indien, China oder Russland - mit steigender Tendenz, allerdings nicht zulasten deutscher Forschungsstandorte. Aber das Wissen zum Beispiel aus Software-Laboren in Indien kommt doch auch deutschen Standorten zugute. Was wir an Know-how haben, wird im Konzern weltweit übertragen. Das sichert auch in Deutschland Stellen. Im Übrigen geht es nicht um mehr Geld für Konzerne, sondern vor allem um die Förderung des Mittelstands und bessere Rahmenbedingungen überhaupt.

SZ: Den Strukturwandel kann Deutschland nur bewältigen, wenn Reformen gelingen. Sie hatten dabei große Hoffnungen in die große Koalition gesetzt. Wie ernüchtert sind Sie?

Pierer: Es fällt schon auf, dass manche Diskussion sehr zäh ausfällt. Es ist schade, dass wir uns beim Thema Gesundheit nicht stärker mit den Ursachen des Übels befassen und mehr Wettbewerb und ein effizienteres System schaffen. Es hilft doch nicht, durch Deckelungen nur den Druck auf den Kessel zu erhöhen. Schon jetzt ist doch klar, dass die geplanten Schritte die Probleme nur etwas verschieben. Wir müssen endlich grundlegende Veränderungen vornehmen, sonst bekommen wir in Deutschland ernsthafte Probleme.

SZ: Wenn man sich den Fall BenQ anschaut, haben wir die doch schon. Die Produktion wandert nach Asien. Tauschen Gewinner und Verlierer im Ringen um Wohlstand derzeit die Rollen?

Pierer: Die Erwartung, dass wir ein pazifisches Jahrhundert erleben werden, wird von vielen geäußert. Schon allein das rasante Bevölkerungswachstum in China und Indien spricht dafür, dass sich Märkte verschieben. Aber wir dürfen nicht resignieren und müssen uns auf unsere Stärken besinnen. Deutsche Unternehmen genießen gerade in Asien hohes Ansehen. Das eröffnet Chancen. Wir müssen sie nutzen.

SZ: Indem man abwandert? Wird der Wettbewerb auch Siemens weiter aus Deutschland heraustreiben?

Pierer: Wir bleiben Deutschland treu, aber natürlich haben wir auch die Globalisierung im Unternehmen stark forciert. Der Aufbau von Arbeitsplätzen findet natürlich auch im Ausland statt, weil dort Wachstum herkommt und wegen der Kosten. Siemens ist ein internationales Unternehmen. Darin liegt ein Schlüssel für unseren Erfolg.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2006
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