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Haftung für Klimaschäden:Mit der Aktie kommt die Verantwortung

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Investoren halten tendentiell an erprobten Technologien fest. Auch weil sie für negative Folgen für Umwelt und Klima nicht aufkommen müssen. Dies hemmt den Umstieg auf Zukunftstechnologien wie erneuerbare Energiequellen. Zwei Wissenschaftler wollen dies "kreativ stören" - und Aktionäre für Schäden haften lassen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Da wäre etwa die Sache mit dem Dachziegel. "Wenn ich ein Hausbesitzer bin", sagt Hans-Joachim Schellnhuber, "und da fällt ein Dachziegel runter und verletzt jemanden, dann muss ich haften." Eine klare Sache, so weit. Nur gilt so etwas nicht für den Aktionär. Und aus Sicht von Schellnhuber, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, beginnt genau da das Problem. Schließlich könne der Aktionär seine Anteile schlicht verkaufen, wenn in seiner Firma etwas schief läuft. Im schlimmsten Fall erleide er einen Wertverlust seiner Aktien. "Eine fundamentale Asymmetrie", sagt Schellnhuber. "Der Aktionär hat alle Macht, aber keine haftungsrechtliche Verpflichtung."

Was das alles mit dem Klimaschutz zu tun hat, haben Schellnhuber und der niederländische Jurist Jérôme Dangerman diese Woche in einem Aufsatz für das amerikanische Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences dargelegt, eines der führenden Wissenschaftsjournale. Danach verhindert die mangelnde Haftung der Aktionäre, dass sich Konzerne auf einen nachhaltigen Pfad begeben - eben weil Unternehmen wie Anteilseigner für die Konsequenzen ihres Tuns nur in den seltensten Fällen zur Verantwortung gezogen werden können. Mit Blick auf den Klimaschutz könne das verheerende Auswirkungen haben.

Die Argumentation der beiden Wissenschaftler geht zurück bis ins Jahr 1602. Damals gründeten Kaufmannskompanien die Niederländische Ostindien-Kompanie, einen der ersten Handelskonzerne im öffentlichen Besitz. "Ihre Eigentümer hatten weder den Wunsch, mit den rechtlichen Folgen ihrer Investition konfrontiert zu werden, noch mussten sie es erwarten", schreiben Dangerman und Schellnhuber. Schließlich sei der Sinn der Unternehmung vor allem die Ausbeutung von Kolonien gewesen.

Seit diesen kolonialen Zeiten habe sich an der Verantwortung der Aktionäre wenig geändert, jedenfalls nicht zum Besseren. Stattdessen seien die Rechte von Anteilseignern in den letzten Jahren sogar noch gestärkt worden, auch zur Abwehr feindlicher Übernahmen. "Seit den frühen Neunzigern hat es eine schrittweise Machtverlagerung von den Vorständen hin zu den Aktionären gegeben", konstatieren die Wissenschaftler. Und zwar ohne zusätzliche Verpflichtungen.

Das aber erschwere die Abkehr von umweltschädlichen Investitionen. Da Investoren mit den Folgen ihres Handelns nicht konfrontiert würden, hielten sie tendenziell an erprobten Technologien fest. Die beiden Wissenschaftler verweisen dazu auf ein Phänomen, das Ökonomen den "Erfolg für die Erfolgreichen" nennen: "success to the successful".

Seit 40 Jahren schon stehe die Wirtschaft vor der Wahl zwischen fossilen und erneuerbaren Energien. Doch während Letztere - ungeachtet der deutschen Energiewende - weltweit immer noch ein Schattendasein fristen, erwiesen sich Kohle, Öl und Gas als außerordentlich hartnäckig. Ihr Angebot hat sich seit 1973 mehr als verdoppelt. Und das trotz aller Erkenntnisse über den Klimawandel. Dieser Erfolg der erfolgreichen fossilen Energien lasse sich durch neue Haftungsregeln "kreativ stören", heißt es in dem Aufsatz. Oder, wie Jurist Dangerman es fasst: "Würden Sie Aktien eines Ölkonzerns kaufen, wenn Sie für die Schäden mithaften, die er verursacht?"

Haftungsfragen haben längst die internationale Debatte erreicht. Bei der Klimakonferenz in Doha im Dezember nahmen sich die Staaten jüngst erstmals vor, einen eigenen Mechanismus für die Bewältigung von Schäden aufzubauen, die auf die Erderwärmung zurückgehen. "Wir werden gewaltige Haftungsklagen bekommen wegen Umwelt- und Klimaschäden", sagt Schellnhuber. "Das ist unausweichlich." Länder des Südens würden kaum darauf verzichten, die Verursacher des Klimawandels in Haftung zu nehmen.

Wie das genau funktionieren soll, ist freilich so unklar wie die Funktionsweise einer Aktionärshaftung. Schellnhuber und Dangerman ließen die Frage in ihrem Aufsatz außen vor, dies müsse Gegenstand eigener Arbeiten sein. Unklarheiten gibt es noch genug: Wo etwa die Grenzen einer solchen Haftung zu setzen sind - ohne das jedes Investment so riskant wird, dass keiner mehr irgendwo investiert. Oder auch, wie sich überhaupt Schäden einzelnen Unternehmen zuordnen lassen. Denn so einfach wie beim Dachziegel ist der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nur selten. "Wir stehen da erst am Anfang", sagt Schellnhuber. "Aber um diese Haftungsdebatte wird man nicht herumkommen."

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SZ vom 12.01.2013
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