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Griechenland vor der Wahl:Hysterie und Wahrheit

Lesezeit: 3 min

Ein möglicher Erfolg der linken Partei Syriza bei der Wahl in Griechenland versetzt viele in Europa in Aufregung. Doch der Wirbel ist übertrieben. Nicht nur Syriza-Parteichef Tsipras, selbst der IWF empfiehlt einen Schuldenschnitt für Griechenland.

Von Jens Bastian

In Griechenland ist es nicht üblich, dass politische Parteien ausgearbeitete Wahlprogramme vorlegen. Findet gar eine kurzfristig anberaumte Neuwahl des Parlaments statt, so bleibt kaum Zeit, neben den Kandidatenlisten auch noch ein detailliertes Programm zu erstellen.

Bei den Wahlen am 25. Januar geht die Oppositionspartei Syriza als Favorit ins Rennen. Die Koalition der radikalen Linken, wie die Partei offiziell heißt, sieht sich einer erhöhten internationalen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Der Kommunikation ihrer wirtschaftspolitischen Schwerpunkte kommt dabei besondere Bedeutung zu.

Schreckgespenst Syriza

Zwei dieser Forderungen stehen besonders im Fokus. Zum einen die Ablehnung verschiedener Reformauflagen, welche die Troika der internationalen Kreditgeber mit der Regierung von Premierminister Antonis Samaras vereinbart hatte. Zum anderen strebt Syriza einen Schuldenschnitt Griechenlands an.

Die Eventualität eines Wahlsieges von Syriza hat in den vergangenen Tagen zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben. Die damit ausgelöste Hysterie hat erhebliche Reputationskosten für das internationale Ansehen des Landes.

Die Linkspartei hat ihren Wahlkampf auf eine klare Polarisierung der Themen und Kontrahenten konzentriert. Diese Zuspitzung wird mit dem Slogan "Memorandum oder Syriza" geführt. Zudem argumentiert die Oppositionspartei, dass das Prinzip von "TINA Politik", das heißt es gebe keine Politikalternativen, nach sechs Jahren Rezession und vier Jahren Austeritätsmaßnahmen keine Arbeitsgrundlage darstellt.

Es lohnt, einen genaueren Blick auf Syrizas wirtschaftspolitische Kernforderungen zu werfen. Nicht zuletzt deswegen, weil die Partei seit der knappen Niederlage bei den Doppelwahlen von 2012 ihre ökonomischen Positionen schrittweise abgemildert hat.

Idee vom Schuldeschnitt ist alles andere als radikal

Ein Vorschlag, der erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, betrifft das Ziel von Syriza, einen Schuldenschnitt zu vereinbaren. Genauer gesagt, soll mindestens die Hälfte der akkumulierten öffentlichen Verschuldung Griechenlands auf dem Verhandlungswege mit den europäischen Gläubigerinstitutionen reduziert werden.

Diese Forderung basiert auf der Annahme, dass die Schuldentragfähigkeit weder heute, noch mittelfristig gewährleistet sei. Eine solche Sicht auf den angehäuften Schuldenberg Griechenlands kann keineswegs als radikal tituliert werden.

Diese Interpretation findet sich im Einklang mit dem Internationalen Währungsfond (IWF). Dieser hat die europäischen Gläubiger 2014 dazu aufgerufen, einen geordneten Schuldenschnitt für Griechenland in Erwägung zu ziehen.

Allerdings ist der IWF als Kreditgeber nicht dazu bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Er besteht auf vollständige Rückerstattung. Der Vorsitzende von Syriza, Alexis Tsipras, hat wiederholt erklärt, dass im Falle einer Regierungsübernahme die Verpflichtungen gegenüber dem IWF eingehalten werden.

Zahlungen an Hedgefonds bergen sozialen Konfliktstoff

Die Kontroversen rund um einen Schuldenschnitt für Griechenland stellen für Syriza eine politische Herausforderung dar. Beim ersten Schuldenschnitt privater Gläubiger Griechenlands 2012 hatten sich einige institutionelle Anleihebesitzer erfolgreich gegen diesen Schritt gewehrt. Diesen schuldet der griechische Staat im Laufe von 2015 knapp 460 Million Euro.

Ob eine Regierungspartei Syriza dieser Obligation gegenüber Hedgefonds nachkommen würde, ist bisher unklar. Der zu erwartende soziale Konfliktstoff bei einer Auszahlung wäre aber offenkundig. Die Wählerbasis von Syriza erwartet eher, dass ein solcher Betrag Schulspeisungen oder öffentliche Investitionen finanziert.

Hohe rechtliche Hürden

Einen Schuldenschnitt mit den europäischen Gläubigern auszuhandeln, hätte eine hohe rechtliche Hürde zu überwinden. In den zwei Rettungsprogrammen seit 2010 ist festgelegt, dass der Status der öffentlichen Gläubiger gegenüber allen anderen Kreditgebern als vorrangig zu behandeln ist. Die Balance des Verhältnisses zwischen griechischen Kreditnehmern und -Gebern ist zugunsten Letzterer gewichtet.

Ein zweiter Schuldenschnitt verlangt nicht nur eine kohärent ausgearbeitete Verhandlungsstrategie, inklusive Alternativen. Noch wichtiger ist die Identifizierung von institutionellen Koalitionspartnern, die auf europäischer Ebene solche Politikinhalte mittragen könnten. Diese sind bisher keineswegs am politischen Horizont erkennbar.

Es ist gerade diese Notwendigkeit der Bildung von Allianzen, die in den Wahlaussagen von Syriza fehlen. An entscheidender Stelle mangelt es der Linkspartei an institutionellen Partnern, ob das nun im europäischen Rat ist, dem ESM Stabilitätsmechanismus, bei der Europäischen Kommission in Brüssel, oder innerhalb der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.

Syriza will kein Plus erwirtschaften müssen

Ein zweiter Schwerpunkt der wirtschaftspolitischen Forderungen Syrizas' betrifft die Ablehnung verschiedener Reformauflagen, welche zwischen der Troika und der Regierung Samaras vereinbart wurden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Erzielung eines Primärüberschusses im Zentralhaushalt (vor dem Schuldendienst).

Syriza argumentiert, dass diese Konditionalität die staatliche Investitionsfähigkeit bei der Überwindung der Wirtschaftskrise entscheidend behindert. Solch eine Position markiert keinen fundamentalen Politikwechsel, der bei europäischen Institutionen und ausländischen Investoren Angst und Schrecken verbreiten müsste. Diese Forderung wird von zahlreichen internationalen Ökonomen geteilt, die nicht in dem Ruf stehen, Advokaten von Syriza zu sein.

Statt der Fokussierung auf die Erzielung von Primärüberschüssen schlägt Syriza vor, indexierte Anleihen zu begeben, die an ein zukünftiges Wirtschaftswachstum gekoppelt sind. Die technischen Details einer solchen Anleiheplatzierung sind bisher eher nebulös. Ebenso ist unklar, was mit den Anleihen geschieht, falls die Statistiken zum Wirtschaftswachstum rückwirkend korrigiert werden müssen.

Linke Allianzen werden nicht ausreichen

Im Falle einer Regierungsübernahme werden griechische Bürger und internationale Beobachter genau wissen wollen, wie die Tage nach einer Ablehnung von Reformauflagen der Vorgängerregierung im einzelnen zu gestalten sind. Dabei ist offensichtlich, dass ein eventueller Premierminister Tsipras keine handelsübliche Schonfrist eingeräumt bekommen wird. Knappe Zeitbudgets werden rasches Handeln in Athen erfordern.

Aber gerade dort liegt die strategische Lücke von Syriza. Ihr fehlen die institutionellen Koalitionspartner in Brüssel, Frankfurt, Berlin oder Washington, um die ambitionierten Forderungen in praktische Politik übersetzen zu können. Etwaige Allianzen mit Oppositionsparteien wie Podemos in Spanien und Die Linke in Deutschland stellen keine erfolgsversprechenden Handlungsanleitungen dar, falls der Regierungsauftrag Ende Januar an Syriza geht.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2015
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