Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Forderungen, die Athen niemals erfüllen kann

Lesezeit: 2 min

Kurz vor Beginn des EU-Gipfels legen die Kreditgeber der griechischen Regierung ihre Forderungen vor. Diese kann Premier Tsipras niemals umsetzen, ohne daheim davongejagt zu werden.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfeltreffens haben die Kreditgeber der griechischen Regierung einen Forderungskatalog vorgelegt, den diese niemals erfüllen kann, ohne daheim von den Bürgern davongejagt zu werden. Sollte Premierminister Alexis Tsipras die auf neun Seiten aufgelisteten prior actions, also die am dringendsten durchzuführenden Maßnahmen, unterschreiben, käme dies einer Kapitulation seiner Regierung vor den Kreditgebern gleich ( hier der Vorschlag der Gläubiger als PDF).

Selbst die kleinen Annäherungen sind wieder gestrichen

Die Botschaft der Experten von Europäischer Kommission, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds klingt zwischen den akkurat und bis ins Detail aufgelisteten Forderungen unmissverständlich durch: Sie sind nicht bereit, auf die bisherigen Reformangebote der griechischen Regierung einzugehen. Sondern halten an den alten Vereinbarungen fest. Die in der Liste aufgeführten Forderungen entsprechen grundsätzlich den im Herbst 2012 von der konservativen Vorgängerregierung von Premier Antonis Samaras unterschriebenen Verpflichtungen des zweiten Rettungsprogramms für Griechenland. Also genau dem, was der linke Premier Tsipras verändern und eben nicht erfüllen wollte. Selbst die kleinen Annäherungen, die in den vergangenen Tagen erreicht wurden, sind wieder gestrichen. Statt weniger fordern die Kreditgeber mehr.

Zum Beispiel die Kürzung der Militärausgaben: Statt 200 Millionen Euro sollen es 400 Millionen Euro sein. Das Rentenreformgesetz von 2010 soll, anders als von Tsipras vorgesehen, sofort umgesetzt werden. Ab 1. Juli 2015 sollen darüber hinaus schrittweise Rentenkürzungen eingeführt werden, die noch in diesem Jahr 0,25 bis 0,5 des Bruttosozialprodukts (BIP) einsparen und ab 2016 ein Prozent. Ebenfalls ab 1. Juli 2015 sollen Anreize zur Frühverrentung abgeschafft werden. Das Rentenalter soll ab 2022 bei 67 Jahren liegen. Zum 1. Juli sollen die geänderten Sätze für Umsatzsteuer gelten, die einen Prozentpunkt des BIP zusätzlicher Einnahmen bringen.

Tsipras soll Ausnahmeregeln bei der Einkommenssteuer abschaffen, beispielsweise für Bauern, die Steuer auf Unternehmensgewinne noch 2015 erhöhen und ab 2016 sowohl Unternehmen als auch Selbstständige zu verpflichten, die Unternehmenssteuer zu 100 Prozent vorauszuzahlen. Athen soll den Steuersatz für Schiffstonnagen erhöhen und die Sonderkonditionen für Reeder auslaufen lassen. Ausdrücklich gegen die erklärte Absicht von Tsipras soll die Privatisierung von Staatsbetrieben vorangetrieben werden. Der am 31. Dezember 2014 unter der Regierung Samaras gültig gewesene Privatisierungsplan soll von der Regierung Tsipras anerkannt werden - sie hatte ihn gestoppt. Regionalflughäfen, Autobahnen sowie die Häfen von Piraeus, Thessaloniki und Hellinikon sollen irreversibel ausgeschrieben und verkauft werden.

Tsipras hat eine schwierige Wahl zu treffen

Kurz vor dem Finale - am 30. Juni um Mitternacht läuft das zweite Rettungsprogramm aus - demonstrieren die Kreditgeber, dass sie nicht bereit sind, ihre Rettungspolitik zu ändern. Sie berufen sich auf die Regeln und pochen auf die Erfüllung bestehender Abkommen. Bleiben sie bis zum 30. Juni bei dieser Haltung, hat Tsipras die Wahl zwischen annehmen und abdanken - oder einem Abgang von der europäischen Bühne, der ihm daheim Würde und Ansehen bringt. Beide Alternativen bergen die Gefahr, dass Griechenland politisch wie wirtschaftlich unkontrollierbar wird.

Wie verfahren die Krise in Griechenland ist, wird dadurch verdeutlicht, dass auch ein Einlenken der Euro-Partner auf die griechischen Forderungen gravierende Folgen haben würde. In anderen Ländern könnten bei den nächsten Wahlen die Euroskeptiker noch mächtiger werden. Das alles zusammen stellt die Euro-Zone vor eine grundsätzliche Entscheidung: Sie kann auf ein Land, Griechenland, eingehen und die Regeln ändern. Das Risiko: Sie verliert andere Mitglieder, deren Regierungen ihre Bürger bereits durch Sparprogramme gequält haben. Oder sie gibt bei Griechenland nicht nach - und riskiert den Fall eines Mitglieds ins Bodenlose.

Die Euro-Strategen stehen vor der wichtigsten Entscheidung seit Gründung der Währungsunion.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2538217
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.