Süddeutsche Zeitung

Gesundheitspolitik:Schluss mit der Gruselklinik

Der Slogan "Zweibettzimmer für alle!" mag populistisch sein, richtig ist er trotzdem. Denn erstmals seit Jahren geht es um die Bedürfnisse des gewöhnlichen Kassenpatienten, dessen derzeitige Situation einfach unerträglich ist.

Claus Hulverscheidt

Wer einmal mehrere Tage lang in einem Vierbettzimmer im Krankenhaus verbracht hat, der ist auf Jahre hinaus für jeden Gruselgeschichtenabend gerüstet: Da ist der Bettnachbar, der gefühlte zehn Stunden am Stück durchschnarcht. Da ist ein zweiter, der den ganzen Tag über Privatfernsehen schaut. Und da ist der dritte, der allnachmittäglich die gesamte Sippschaft bis hinab zur Großcousine zur Audienz empfängt.

Wer dann noch vom Personal in eines jener OP-Hemdchen gesteckt wird, die bei falscher Bewegung die komplette Rückansicht freigeben, der kann froh sein, wenn er sich bis zum Verlassen der Klinik kein handfestes Trauma eingehandelt hat.

Die Unterbringung von Menschen in grässlich getünchten Großräumen ist auch deshalb so ärgerlich, weil sie den Verdacht der Zwei-Klassen-Medizin erhärtet und weil dahinter Methode steckt: Heute nämlich müssen Kassenpatienten für die Heraufstufung zum Zweibettzimmer-Kunden zahlen, sofern sie sich ein wenig Schamgefühl finanziell leisten können - ein lohnendes Geschäft für Kliniken und Versicherer.

Es gibt aber noch einen weiteren, prinzipielleren Grund, warum die Forderung nach artgerechter Unterbringung im Krankenhaus gerechtfertigt ist: Die Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre drehten sich um Diagnosis Related Groups, den morbiditätsorientierten Risiko-Strukturausgleich und ähnlich seltsame Dinge - da wird es Zeit für ein Gesetz, das einmal die Bedürfnisse des gewöhnlichen Kassenpatienten in den Blick nimmt. So populistisch, so banal, so nebensächlich der Slogan "Zweibettzimmer für alle!" aus Expertensicht auch klingen mag: Als Richtungsweiser für die nächste Reform taugt er allemal.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2010
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