Süddeutsche Zeitung

Geplante Supermarkt-Fusion:Jetzt droht Tengelmann die Zerschlagung

Lesezeit: 3 min

Von Michael Kläsgen, München

Bei Kaiser's Tengelmann überschlagen sich die Ereignisse. Karl-Erivan Haub, der Eigentümer der Kette, so heißt es, hat die Geduld verloren und will die Reißleine ziehen. "Er will dem Aufsichtsrat, der am 23. September tagt, vorschlagen, den Stecker zu ziehen", sagt jemand, der persönlich mit ihm in Kontakt steht. Die Fusion mit Edeka wäre dann endgültig gescheitert. Der Lebensmittelkonzern aus Hamburg arbeitet seinerseits an einem Plan B und will nur noch die Filialen übernehmen, gegen die das Bundeskartellamt keine Einwände mehr hat. Mobilisieren da die voraussichtlich Unterlegenen in einem zum Scheitern verurteilten Fusionsprozess noch einmal alle Kräfte?

Seit zwei Jahren will Haub vergeblich an Edeka verkaufen. Doch das Kartellamt und die Monopolkommission funkten dazwischen; Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel scheiterte vorerst damit, die Fusion per Ministererlaubnis durchzuboxen. Eigentlich warteten jetzt alle auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Doch nun steht plötzlich die Zerschlagung der Kette im Raum. Die Mitarbeiter und die Gewerkschaft Verdi sind alarmiert. Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger will einen runden Tisch aller Beteiligten noch vor dem 23. September einberufen und eine Zerschlagung abwenden.

Aus Sicht von Verdi wäre sie die schlechteste aller Alternativen für die Mitarbeiter. Zumal Verdi in mühsamen Verhandlungen vor wenigen Wochen erst mit Edeka Tarifverträge ausgehandelt hat. Doch Haub ist angeblich fest entschlossen. "Die Option BGH ist nicht mehr relevant", sagt ein Insider. Da Haub nicht nur als Eigentümer des Familienunternehmens, sondern auch als dessen Aufsichtsratsvorsitzender fungiert, deutet alles auf eine klare Entscheidung hin.

Endgültig beschlossen ist aber noch nichts. Blufft Haub vielleicht nur? Es wäre nicht das erste Mal. "Nein, diesmal ist es ernst", sagen mehrere Personen, die mit der Sache befasst sind. Zu hoch sind die Verluste und zu langwierig das juristische Verfahren. Es könnte im für Haub schlimmsten Fall gut weitere zwei Jahre dauern, bis endlich ein rechtskräftiges Urteil gefällt ist. Allein das Eilverfahren wird bis ins nächste Jahr hinein andauern, falls sich der Bundesgerichtshof überhaupt der Sache annimmt. Und ob er das tut, darüber will er erst voraussichtlich Mitte November befinden.

All das ist für Haub schwer erträglich. Die Verluste seiner Supermarktkette summieren sich derweil monatlich auf etwa zehn Millionen Euro. Anlässlich der Aufsichtsratssitzung wurde am Montag ein Papier mit den Schreckenszahlen an die Teilnehmer versandt.

Rainer Schroers, Betriebsratsvorsitzender am Sitz in Mülheim an der Ruhr, kennt sie: "Die Situation wird von Monat zu Monat schlimmer. Es wird immer schwieriger, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten", sagt er. Viele Kunden kämen nicht mehr in den Laden, um etwas zu kaufen, sondern um von den Kassiererinnen zu erfahren, wie es ihnen geht und ob bald 5000 oder 8000 Arbeitsplätze wegfielen. Die Mitarbeiter seien demoralisiert, die Kündigungen häuften sich.

Kaiser's Tengelmann zahlt fast zehn Prozent höhere Einkaufspreise als die Konkurrenz. Das hat sich herumgesprochen. Die Kette gilt inzwischen nicht mehr nur als "Auslaufmodell", sondern auch als teuer.

Gehört hat Schroers noch nichts von einer drohenden Zerschlagung. Als Betriebsratschef müsste er vorher über so wichtige Entscheidungen informiert werden, so ist es mit der Geschäftsführung vereinbart. Andererseits bleiben noch ein paar Tage bis zur Sitzung. Der Betriebsratschef hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich doch noch eine Lösung findet. Warum sollte Haub jetzt zerschlagen, wenn er vor Kurzem noch entschied, vor den Bundesgerichtshof zu ziehen?

Entschlösse sich der Tengelmann-Chef dennoch dazu, wäre das eine weitere Volte in dem langen Hin und Her der Fusion. Am Ende könnte das ein Zurück auf Anfang bedeuten. Die verbliebenen etwa 421 Supermärkte würden aufgeteilt, ein wenig so, wie es auch das Bundeskartellamt ursprünglich mal erwogen hatte. Mögliche Interessenten sind bekannt: Rewe, Coop, Migros, Norma. Weitere könnten hinzukommen. Um die attraktivsten 150 Supermärkte buhlt schon eine lange Reihe von Aspiranten.

Wäre Haub mit einer Zerschlagung alle Probleme los?

Dazu gehört auch die Rewe-Group, die mit ihrer destruktiven Taktik Erfolg gehabt hätte. Unternehmenschef Alain Caparros sagte neulich erstmals öffentlich, dass sein Ziel nur sei, die Fusion von Edeka und Kaiser's Tengelmann zu zerstören. Am Ende wird er dafür vielleicht mit ein paar Kaiser's-Filialen in Berlin belohnt. Auch Edeka bekäme seinen Anteil. Betriebswirtschaftlich wäre das unter Umständen attraktiver, sagt ein Insider, als die jetzige offizielle Planung, das Gesamtpaket mit den maroden Läden zu übernehmen.

Noch bindet Kaiser's Tengelmann und Edeka zwar ein Kaufvertrag, der vorsieht, dass Edeka alle Filialen übernimmt. Aber Eingeweihte lassen durchblicken, dass Edeka bereit wäre, davon zurückzutreten. Bedingung wäre, dass Edeka alle kartellrechtlich unproblematischen Standorte erhält. Aber wäre Haub mit einer Zerschlagung alle Probleme los? Nein.

Für die Supermärkte vor allem in München und auch in großen Teilen Berlins fänden sich Abnehmer. Aber auf den Produktionsstätten wie den Fleischwerken und den Logistikstandorten bliebe Haub hingegen sitzen. Er hätte zwar das Heft wieder in der Hand, aber womöglich weiter enorm hohe Kosten.

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SZ vom 14.09.2016
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