Süddeutsche Zeitung

Genius vs. Google:Apostrophe entlarven Songtext-Klau

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Kuhn

Enzyklopädien, die Fantasiewörter enthalten. Karten, in denen Flussbiegungen, Straßennamen oder ganze Orte ausgedacht sind: In der Papierwelt handelt es sich dabei nicht immer um Fehler, sondern manchmal um eine Plagiatoren-Falle. Denn wer Fehler kopiert, hat in der Regel abgeschrieben.

Die Songtext-Datenbank Genius hat nun einen ähnlichen Trick online angewendet, um Google nachzuweisen, Liedtexte für seine Suche abzukupfern. Dafür benutzte das Start-up keinen falschen Liedzeilen, sondern Apostrophe, wie das Wall Street Journal berichtet.

Seit 2016 habe man in jedem Song-Transkript eine Mischung von geraden und gebogenen Apostrophe verwendet und zwar immer das selbe Muster. Beide Apostrophen-Arten, in Punkte und Striche des Morsealphabets übersetzt, ergaben zusammen den Ausdruck "Red Handed", also "auf frischer Tat ertappt".

Genius will so insgesamt mehr als 100 Beispiele gefunden haben, in denen Google die kopierten Texte anzeigte, wenn Nutzer den Namen eines Songs ins Suchfeld eingeben.

Die Diskussion dreht sich nicht darum, ob Google die Songtexte "klaut": Der Suchkonzern hat genau wie Genius die Nutzungsrechte der Texte von den Musikverlagen lizensiert.

Bei Google bleiben

Vielmehr geht es um die Frage, welche Daten Google in den "Knowledge Graph" einspeist. Der Knowledge Graph sind die Informationen, die Google inzwischen bei Suchanfragen direkt in kleinen Blöcken einblendet. Er ist auch die Grundlage für Antworten, die Googles Assistenzsoftware gibt, wenn man ihr Fragen wie "Wie alt ist Rezo?" oder "Wer ist Präsident von Mexiko?" stellt.

In einigen Fällen ("Featured Snippets") verlinkt Google die Ursprungsseite, bei unveränderlichen Informationen oft nicht. Für Seiten, die sich auf solche Themen spezialisiert haben, bedeutet die Aufnahme in das Google'sche Homepage-Wissen in der Regel einen massiven Verlust von Reichweite, denn Nutzer müssen die Suchergebnisse nicht mehr verlassen. Auch Genius beklagt einen Rückgang und wirft Google bereits seit Langem vor, sich zu bedienen.

Google wiederum verweist darauf, dass es die Texte seit 2016 von Lyricfind erhält, dem weltweit größten Textlizenzunternehmen. Lyricfind selbst bestreitet auf Nachfrage des Wall Street Journals, die Texte von Genius zu übernehmen, sondern ein eigenes Team zu unterhalten, das die Texte sammelt. Google kündigte an, die Angelegenheit gemeinsam mit den "Daten-Partnern" zu untersuchen.

Genius argumentiert, dass das Kopieren gegen seine Nutzungsbedingungen verstoßen würde und auch Wettbewerbsfragen aufwerfe. In den USA verdichten sich gerade die Anzeichen, dass die Kartellrechtsabteilung des Justizministerium Google ins Visier nehmen könnte.

Genius selbst nicht unumstritten

Google wird nicht das erste Mal mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Im Jahr 2013 war der Firma nachgewiesen worden, dass es Yelp-Bewertungen wörtlich kopiert und unter anderen Namen bei Google Plus veröffentlicht hatte. Yelp hatte in Europa im Jahr 2017 in einem anderen Fall eine Kartellstrafe in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar gegen Google erreicht, weil der Konzern in der Online-Produktsuche Konkurrenten benachteiligt hatte.

Auch der Genius-Trick kam bereits häufiger zur Anwendung: Im Jahr 2015 hatte die Seite Metrolyrics Songtexte mit Kommentaren versehen. Diese erschienen dann ebenfalls in Googles Songtext-Feld und verschwanden, als Metrolyrics das Ergebnis veröffentlichte. Ähnlich ging die Datenbank CelebrityNetWorth vor, die das Vermögen von Prominenten schätzt. Google ändert Algorithmus und Quellen häufiger, weshalb ein Muster in der Regel schwierig nachzuweisen ist.

Songtexte zu suchen, gehörte bereits im CD-Zeitalter der 1990er zu einer beliebten Beschäftigung im Netz. 2006 lizensierten erstmals Musikverlage offizielle Nutzungsrechte an einen Internetdienst (Gracenote), viele kleinere Seiten verzichteten darauf.

Auch Genius, damals noch unter dem Namen Rap Genius firmierend, wollte zunächst Lizenzierung vermeiden, einigte sich dann aber 2014 mit den amerikanischen Musikverlagen.

Einblendungen beim Streaming

Damals war die Seite auch wegen manipulativer Suchmaschinenoptimierung von Google abgestraft worden. Ein Jahr später 2016 geriet Genius in die Kritik, weil es eine Funktion einführte, die es Nutzern ermöglichte, alle vorhandenen Webseiten der Welt mit Kommentaren und Annotationen zu versehen - also letztlich ebenfalls auf das Material anderer Seiten zurückzugreifen. Das Projekt wird inzwischen nicht mehr weiterentwickelt.

Heute verdient Genius unter anderem mit der Einblendung von Songtexten bei Spotify und Apple Music Geld.

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