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Geldanlage:Gibt es die Jahresendrally an den Börsen wirklich?

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Von Jan Willmroth

Das wäre doch schön: Gerade erst hat man eingekauft, um die Liebsten an Weihnachten zu beglücken, richtig viel Geld ausgegeben - und gleich wenigstens einen Teil davon wieder an der Börse eingesammelt. Klingt zu einfach, um wirklich zu funktionieren, ist es auch - hätte in vielen Jahren aber geklappt.

Zum Beispiel mit dem deutschen Leitindex Dax. Im Durchschnitt der 65 Jahre von 1948 bis 2014 waren die Monate November und Dezember tatsächlich die mit der höchsten Rendite, wie eine Auswertung des Deutschen Aktieninstituts für die Süddeutsche Zeitung im vergangenen Jahr ergab. Im November schaffte der Index rückblickend durchschnittlich 1,6 Prozent, im Dezember gar 2,4 Prozent. Das sind leider keine Ergebnisse, auf die sich Anleger verlassen können. Die Renditen der Monate in den einzelnen Jahren lagen weit auseinander. Allein im Dezember reicht die Spanne von plus 21,2 bis minus 12,9 Prozent. Ein Hinweis geben solche einfachen Statistiken dennoch: Irgendetwas ist anscheinend dran an den Saison-Anomalien.

Saisonale Effekte sind statistisch belegt

Dazu finden sich auch zahlreiche Hinweise in der empirischen Finanzwissenschaft, mit Blick auf verschiedene internationale Aktienmärkte. Hundertfach haben Forscher aufgezeigt, dass immer vor oder nach dem Wechsel von Zeiträumen überdurchschnittliche Aktienrenditen auftreten: gegen Ende einer Woche, eines Monats, vor Ende des Jahres oder auch nach dem Jahreswechsel. Die Amerikaner sprechen dabei einerseits vom "Januar-Effekt": Zum Jahresende verkaufen Investoren Aktien mit Verlust, um ihre Steuer zu optimieren, im neuen Jahr kaufen sie wieder und treiben so die Kurse im Januar tendenziell nach oben. Erstmals beschrieb der Investmentbanker Sidney B. Wachtel den Effekt 1942, seither ist er ausführlich dokumentiert.

Die Finanzforscher Bülent und Mustafa Gültekin zeigten in einem Papier von 1983, dass dieser Effekt in 15 von 16 damals untersuchten Ländern nachzuweisen war. Auf der anderen Seite spricht man an der Wall Street auch von der "Santa Claus Rally", der manchmal auftretenden Aktienrally an den Tagen zwischen 27. Dezember und 3. Januar. Ein Ansatz, das zu erklären, sind die Bonuszahlungen an Weihnachten, Geldgeschenke, die Anleger in Aktien investieren - und eben die Erwartung des Januar-Effekts, die Investoren schon zum Jahreswechsel zum Kauf verleitet. "Rund um den Jahreswechsel", schrieb Richard Roll 1983 in einer Studie, "sind die durchschnittlichen Renditen generell hoch, wobei die Durchschnittsrenditen kleiner Firmen größer sind als die großer Konzerne." Das scheint bis heute so zu sein.

Der Nutzen für den Anleger ist fraglich

Dabei bleibt die Frage offen, ob man aus den saisonalen Besonderheiten überhaupt profitable Strategien ableiten kann. Das sei schwierig zu beantworten, schrieb der Ökonom Richard Thaler schon 1987. "Keine der Anomalien scheint Privatanlegern enorme Chancen zu bieten", folgerte er. Auch das ist heute nicht anders als damals. Denn auch an der Hypothese, die Kapitalmärkte seien die effizientesten der Welt, ist etwas dran. Und wenn der Amerikaner sagt "The market tends to cash in the obvious", heißt das: Wenn ein Anleger von einer Gewinner-Strategie erfährt, ist sie kein Geheimnis mehr. Wer Spielgeld übrig hat, kann sich trotzdem durchaus an saisonalen Strategien versuchen, darf sich dann aber nicht wundern, wenn er am Ende ärmer ist. Die Lust an der Spekulation aber verlangt nach einem Plan - und wenn er wie in diesem Fall nicht allzu ernst zu nehmen ist.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2015
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