Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Der Flugverkehr kann endlich umweltverträglich werden

Lesezeit: 3 min

Die Corona-Krise ist für Beschäftigten der Luftfahrtbranche schmerzhafter, als sich das viele vorstellen können. Doch sie ist auch eine Chance zum Innehalten - und alles daranzusetzen, nachhaltiger zu werden.

Kommentar von Jens Flottau

Die International Air Transport Association (IATA) hat neulich noch einmal nachgezählt. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben Regierungen weltweit etwa 215 Milliarden Dollar in den Airline-Sektor gepumpt. Bis die Branche sich wieder aus eigener Kraft finanzieren kann, wird die gigantische Summe noch weiter steigen, denn schnelle Besserung im Luftverkehr ist angesichts der dritten Infektionswelle nicht zu erwarten. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Airlines weltweit am Ende etwa 300 Milliarden an Hilfen erhalten hätten. Dimensionen, die bis vor Kurzem unvorstellbar schienen.

In guten Zeiten hat sich der Sektor oft darüber beklagt, dass ihm die Politik nicht die Bedeutung beimisst, die er wirtschaftlich, sozial und kulturell hat. Dieses Argument sollten sich die Manager der Branche, wenn sie weiter ernst genommen werden wollen, künftig komplett sparen. Die Politik hat nämlich ganz im Gegenteil sehr, sehr viel dafür getan, einem umstrittenen Bereich der Wirtschaft sozusagen unter die Flügel zu greifen.

Welthandel, niedrige Zinsen, billiger Treibstoff

Das wird hoffentlich nicht ohne Folgen bleiben. Denn so, wie sich die Branche vor der Corona-Krise verhalten hat, kann es nicht mehr weitergehen. Ein kurzer Rückblick: Seit dem Ende der globalen Finanzkrise 2009 ist der Luftverkehr stärker gewachsen als fast jemals zuvor. Eine ganze Reihe von Faktoren hat dazu beigetragen: das starke allgemeine Wirtschaftswachstum, der Welthandel, niedrige Zinsen und billiger Treibstoff. Es war wirtschaftlich das goldene Zeitalter der Branche, endlich haben die Airlines ihre Kapitalkosten verdient.

Aber: Nachhaltig war wenig davon. In erster Linie 2018 und 2019 fand das statt, was man generell Überhitzung nennt und im Rückblick oft absurd aussieht. Die Infrastruktur war auf den Massenansturm nicht ausgelegt, nicht am Boden, nicht bei der Flugsicherung, die Airlines klagten über Personalmangel, unter anderem bei den Piloten. Vor allem aber ist die Branche viel stärker gewachsen, als sie selbst erwartet hat, und so wurde ihre Umweltbilanz trotz moderner Flugzeuge und Motoren und trotz des langsam anlaufenden Emissionshandels immer schlechter.

Corona war für den Sektor und viele seiner Beschäftigten schmerzhafter, als sich das die meisten Nichtbeteiligten vorstellen können. Auch wenn jetzt ein paar Hundert Flüge nach Mallorca dazugekommen sind: Im März 2021, ein Jahr nach Beginn der Pandemie, transportieren immer noch viele Fluggesellschaften weniger als 20 Prozent der Passagiere, die sie zur gleichen Zeit 2019 befördert hatten. In der Krise liegt aber auch eine Chance, es nämlich dieses Mal besser zu machen. Es ist wohl die letzte.

Es gibt vielversprechende Ansätze - und Irrtümer

Die Luftfahrt hat für die Wirtschaft, aber auch für die Gesellschaft und insbesondere den kulturellen Austausch einen sehr hohen Wert. Doch jetzt müssen die Entscheidungen getroffen werden, die sicherstellen, dass umweltverträglicher Luftverkehr endlich möglich wird. Es gibt vielversprechende Ansätze, aber es zeichnen sich auch schon Irrwege ab.

Die Branche hat es sich mittlerweile zumindest in Europa zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das sieht auf den ersten Blick toll aus. Aber wenn man weiß, dass ein substantieller Teil der Rechnung auf Offsets basiert (also Kompensation von Kohlendioxid-Emissionen), dann ist es schon nicht mehr so toll. Die Airlines müssen sich endlich ehrlich machen und sich ihre Umweltziele nicht mit teilweise fragwürdigen Offset-Deals schönrechnen. United Airlines, und damit ausgerechnet eine amerikanische Airline, macht vor, wie es gehen könnte: United propagiert nicht das Ziel "Net Zero" (also inklusive Offsets), sondern "100% Green" - die Emissionen sollen wirklich auf null gestellt sein.

Wie das gehen soll? Frankreich und Deutschland investieren gerade Milliarden in die Wasserstoff-Technologie. Wasserstoff und Elektro-Antriebe werden aber noch in Jahrzehnten für den Teil der Luftfahrt nicht die Lösung sein, der die meisten Emissionen produziert: große Mittelstreckenflugzeuge und die Langstreckenjets. Viel sinnvoller wäre es, endlich ähnlich viel Geld in synthetische Treibstoffe zu investieren. Die technologischen Hürden, diese in Flugmotoren einzusetzen, sind niedrig. Es geht im Moment alleine darum, sie in ausreichenden Mengen und dann zu akzeptablen Preisen zu produzieren. Politik und Wirtschaft müssen das gemeinsam angehen. Worauf noch warten?

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