Süddeutsche Zeitung

Fintechs:Spät aufgewacht

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Digitale Konkurrenten wie Fintechs besetzen immer mehr neue Geschäftszweige. Jetzt schlagen die etablierten Banken zurück.

Von Meike Schreiber

Es hätte ja auch Merck, Linde oder Beiersdorf treffen können. Dass in dieser Woche aber ausgerechnet die Commerzbank ihren Platz für das Finanztechnologie-Unternehmen Wirecard im Dax räumen musste, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der Aktienkurs des traditionsreichen Geldhauses war in den vergangenen Monaten stark gefallen, während der von Wirecard scheinbar unaufhaltsam zulegte. Auch wenn sich die Entwicklung abzeichnete: Der Wechsel im Leitindex wurde damit plötzlich zum Sinnbild für die Zeitenwende in der Finanzbranche, in der Investoren einer knapp 20 Jahre alten Technologiefirma mit Banklizenz mehr zutrauen als einer 148 Jahre alten Bank, einem Gründungsmitglied des Dax.

Und in der Tat wurde der Grundstein für diese Zeitenwende bereits vor längerer Zeit gelegt: Schon früh hat Wirecard mit Bezahldienstleistungen im Internet und bei Einzelhändlern eine Nische besetzt. Das Unternehmen verdient sein Geld damit, Händlern Zahlungsarten für deren Kunden bereitzustellen und diese auch abzuwickeln. Früher war dies die Aufgabe der Banken, doch viele von ihnen verpassten in diesem Bereich den Sprung ins Internet. Heute profitiert der Tec-Dax-Aufsteiger vom boomenden Geschäft mit Online- und Kartenzahlungen, ohne die Nachteile des Bankgeschäfts - drohende Kreditausfälle, Regulierung, Niedrigzinsen - über Gebühr zu spüren. Doch hätten die Banken diese Traumerträge nicht auch haben können?

Fragt man die etablierten Geldhäuser, ob sie nicht einen wichtigen Trend verschlafen haben, wiegeln die meisten natürlich ab. Wirecard habe sicher eine beeindruckende Entwicklung hinter sich, sagt Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Allerdings lasse sich das Unternehmen nur schwer mit einer Großbank vergleichen. "Wir bieten ein ganz anderes Spektrum an Dienstleistungen", sagt Sewing. Wirecard hingegen habe sich auf ganz bestimmte Bereiche des Zahlungsverkehrs spezialisiert, die für die Deutsche Bank "zum Teil auch aus regulatorischen Gründen nicht infrage kommen". Auch sein Kollege Martin Zielke, Chef der Commerzbank, hatte unlängst gesagt, das Geschäft von Wirecard hätte nicht zum Kerngeschäft gepasst.

Liegt die Lösung für die etablierten Banken darin, sich in eine Plattform zu wandeln?

Andere Banker gestehen hinter vorgehaltener Hand aber durchaus ein, dass sie die Nische auch gerne selber besetzt hätten. "Die Banken haben es verschlafen, in dieses Geschäft vorzudringen", sagt Bezahlexperte Niklas Grisar von dem Beratungsunternehmen Capco. Sie hätten nicht erwartet, dass ihre Erträge im Kerngeschäft so massiv einbrechen würden. Zugleich hätten sie das Potenzial des Marktes nicht gesehen. "Die Banken haben diese Zahlungsdienstleistungen früher nur halbherzig mitangeboten und daher nie ausreichend investiert, um mitziehen zu können", sagt Grisar. Als Bezahldienstleister Wirecard den schnell wachsenden Markt erobert habe, sei es mit einem Mal zu spät gewesen. Die Geldhäuser hatten da fast alle ihre Zahlungsverkehr-Töchter wieder verkauft - für gutes Geld, aber zu früh.

Das wollen sich die Institute nicht noch einmal vorwerfen lassen. Auch wenn die Mittel knapp sind: Sie alle wollen so viel wie möglich in die Digitalisierung investieren. Die Deutsche Bank etwa sieht sich auf dem Weg zu einer digitalen Plattform. Entweder man wandele sich selber zur Plattform oder man werde degradiert zum bloßen Produktlieferanten ohne Bezug zum Kunden, glaubt Bankchef Sewing.

Fast alle Banken arbeiten daher an Plattformen. Die Deutsche Bank bietet seit vergangenem Jahr eine Plattform für Festgeld an, auf der die Anleger auch Angebote anderer Häuser finden. Jüngst kam ein Firmenkundenportal hinzu, an das auch Fintechs angebunden sind. Außerdem können Kunden Konten anderer Banken über die App der Deutschen Bank steuern. "Jetzt gerade entstehen die Marktführer der Zukunft. Und wer da das Rennen macht, ist noch lange nicht entschieden", sagt Sewing. In den USA haben sich die Frankfurter gerade an Modo Payments, einem Dienstleister für mobiles Bezahlen, beteiligt. Auch eine Partnerschaft wurde mit Modo vereinbart. Mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag hat sich das Institut einen Anteil von knapp zehn Prozent gesichert. Dahinter steckt eine Technologie, mit der die Bank künftig Zahlungen direkt auf mobile Geldbörsen, sogenannte Wallets, von Anbietern wie Paypal, M-Pesa aus Kenia oder Alipay und Wechat aus China leiten kann. In Deutschland bezahlen bislang noch nicht so viele Menschen mit dem Smartphone. In Schwellenländern gewinnt diese Bezahlart jedoch zunehmend an Bedeutung. Auch die Commerzbank möchte den Anschluss halten, wenn man schon aus dem Dax herausgeflogen ist: Bankchef Zielke hat einen digitalen Campus ins Leben gerufen, auf dem 1000 Mitarbeiter in kleinen Projektteams in rund einem Jahr digitale Prozessketten für bestimmte Finanzprodukte entwickelt haben. Damit die Dinge schneller vorangehen, gibt es bald gemischte Teams aus Fachabteilung und IT-Experten. Dabei herausgekommen ist etwa ein flexibles Darlehen für Firmenkunden. Künftig können Unternehmen einen Kredit für eine Maschine flexibel tilgen, in Abhängigkeit davon, wie stark die Maschine genutzt wird. Entsprechende Daten sendet die Maschine automatisch an die Bank. "Wir sind derzeit die Einzigen, die so etwas anbieten", sagt Jan-Philipp Gillmann, Bereichsvorstand der Commerzbank. Und es klingt durchaus ein wenig stolz.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2018
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