Süddeutsche Zeitung

Finanzskandal:"Ich sollte Wunder vollbringen"

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Der Banker Alexis Stenfors verzockte während der Finanzkrise 100 Millionen Dollar. Ein Gespräch über die Lust am Risiko und fehlende Moral an der Börse.

Von Björn Finke, London

Eine gediegene Bar in Londons Theaterviertel. Am Vormittag ist hier wenig los. Alexis Stenfors, 48, sitzt auf einem Sofa, grauer Anzug, keine Krawatte. Der gebürtige Finne ist Dozent an einer Wirtschaftshochschule im englischen Portsmouth. Das ist sein neues Leben. Sein altes Leben endete vor fast zehn Jahren, im Februar 2009: Da gestand Stenfors seinem Chef bei der US-Bank Merrill Lynch, 100 Millionen Dollar Verlust verschleiert zu haben.

Stenfors sagt, er könne sich nicht erklären, wieso er diese Verluste aus einer Wette versteckt habe: "Ich versuche immer noch, das selbst zu verstehen. Ich habe auch mit einem Psychotherapeuten darüber gesprochen. Aber ich weiß es nicht." Stenfors erhielt Berufsverbot, die Bank musste für die schlampigen Kontrollen eine hohe Strafe zahlen.

Der Skandal belastet ihn weiterhin

Ein Grund für seine "katastrophal falsche Entscheidung" sei der hohe Druck gewesen, unter dem er gestanden habe, sagt Stenfors. Er habe für die Bank "Wunder vollbringen" sollen. Sein Chef habe erwartet, dass er 2009 mitten in der Finanzkrise mit seinen Spekulationen eine halbe Milliarde Dollar Gewinn erzielt. "Ich hätte antworten müssen: 'Das ist unmöglich.' Ich habe es nicht gemacht, und das war ein großer Fehler."

Am Ende seiner Karriere war Stenfors nach eigenen Worten "immun gegenüber kleinen Gewinnen und kleinen Verlusten": "Sie mussten groß sein, um Bedeutung zu haben." Als er seinem Chef das Verschleiern der Verluste gestand, habe er gedacht: "100 Millionen Dollar Verlust sind nicht viel. Ich hatte den Bezug zur Realität verloren."

Der Skandal von 2009 belastet ihn noch heute. Er werde weiterhin darauf angesprochen, Hochschulen wollten ihn wegen seiner Vergangenheit zunächst nicht als Dozenten anstellen. Auch seine Frau und die beiden Töchter leiden unter dem Gerede: "Es geht weiter. Doch es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte." Warum seine große Wette schiefging, wie er süchtig nach Risiko wurde und weshalb ihn das Spekulieren trotzdem immer noch reizt, erzählt Stenfors in "Reden wir über Geld".

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