Süddeutsche Zeitung

Brexit-Folgen:Finanzplatz London: Warten auf den Exodus

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Von Andrea Rexer, München

Am Morgen danach trat ein besorgt aussehender John Cryan vor die Kameras seines eigenen Hauses und ließ eine Video-Botschaft an seine Mitarbeiter senden: "Das ist kein guter Tag für Europa", sagte der Chef der Deutschen Bank am Freitagmorgen über das Ergebnis des Brexit-Referendums, das in der Finanzwelt kaum jemand so vorhergesagt hätte. Die Finanzbranche hatte in den Tagen vor der Abstimmung fest damit gerechnet, dass es nicht zum Austritt kommt. Doch weit gefehlt.

Als Brite schmerze es ihn, dass so viele Mitbürger die Europäische Union offenbar nicht als attraktiv ansähen, sagte Cryan. Was die Entscheidung für seine Bank bedeutet, konnte er jedoch nicht sagen. Er sagte nur so viel: "Sicherlich sind wir als Bank mit Sitz in Deutschland und einem starken Geschäft in Großbritannien gut darauf vorbereitet, die Folgen des Austritts zu mildern."

Spurlos wird der Brexit an dem Finanzinstitut nicht vorbeigehen, immerhin arbeiten 8000 Menschen für das größte deutsche Geldhaus in der britischen Hauptstadt, viele davon sind im Investmentbanking tätig.

Vor einigen Wochen schon hatte Cryan bei einem Investorentag gesagt, dass man darüber nachdenke, im Fall eines Brexits einen Teil des Handelsgeschäfts - vor allem den Handel mit Staatsanleihen - nach Frankfurt zurückzuholen.

Schnelle Entscheidungen jedoch sind in der Standort-Frage nicht zu erwarten, heißt es in der Bank. "Es wäre völlig falsch, jetzt schon zu sagen, was passiert", sagte Privatkunden-Vorstand Christian Sewing in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Niemand weiß, wie dieser Austrittsprozess, der mindestens zwei Jahre dauert, ablaufen wird."

"Passporting" könnte nicht mehr funktionieren

Immerhin hat die Deutsche Bank weniger Handlungsdruck, sich Alternativen zum Standort London zu suchen, als andere Banken. Viel problematischer ist die Entscheidung für Institute, die ihren Hauptsitz außerhalb der EU haben, etwa amerikanische Häuser. Denn bisher war Großbritannien ihr Tor zum EU-Markt.

Hatten sie dort einen Sitz, konnten sie mit der Anerkennung ihrer Geschäfte in allen anderen EU-Ländern rechnen. "Passporting" nennt sich diese Regulierung für Finanzinstitute, die im Wesentlichen auf einer gegenseitigen Anerkennung der Spielregeln beruht. Das ermöglicht den in London beheimateten Banken den ungehinderten Zugang zum Kapitalmarkt der EU.

Würde künftig der britische Pass nicht mehr als EU-Pass anerkannt, müssten die Institute eine weitere Niederlassung innerhalb der EU gründen, um ihre Geschäfte weiterführen zu können. Entscheidungen, wie viele Jobs in andere Städte abwandern, gab es bisher nicht.

Die US-Bank Morgan Stanley bestritt heftig, dass sie 2000 Jobs nach Dublin verlagern wolle, wie öffentlich spekuliert worden war. Auch bei der asiatisch-britischen Bank HSBC, die eine Verlagerung nach Paris erwogen hatte, gab es keine Details. Richard Gnodde, der Europa-Chef von Goldman Sachs, hatte vor einigen Monaten für den Fall des Brexits gesagt, dass man Arbeitsplätze nach Frankfurt verlagern würde. Aber konkrete Entscheidungen stehen auch hier noch aus.

Noch ist nicht klar, in welchem Ausmaß der britische EU-Pass für Finanzinstitute eingeschränkt wird. Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem rechnet damit, dass der Zugang britischer Geldhäuser zum Binnenmarkt der Europäischen Union klar begrenzt werde. Das sei der Preis, den das Land für den Brexit bezahlen werde.

Frankfurt und Paris, aber auch Dublin oder Luxemburg könnten im Werben um Banken profitieren. Die Standort-Initiative Frankfurt Main Finance rechnet bereits optimistisch mit 10 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Besiegelt ist ein Umzug bislang nur bei der Europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA. Ihr Chef Andrea Enria kündigte schon vor dem Referendum für den Fall des Falles den Umzug "in eine andere europäische Hauptstadt" an.

Entscheidender für die Zukunft des Standorts London hingegen ist die Frage, wie Finanz-Start-ups auf die neue Situation reagieren. Derzeit ist London nach New York und dem Silicon Valley der drittgrößte Fintech-Standort weltweit - und mit Abstand der wichtigste Hub in Europa.

London dürfte die Sogwirkung verlieren

"Die Fintechs durchlaufen die gleichen Probleme im Kleinen wie die Investmentbanken im Großen", sagt Finanzexperte Peter Barkow. Denn auch sie brauchen den EU-Pass, um in ganz Europa aktiv zu werden. Für viele Start-ups ist die Möglichkeit zum Expandieren noch wichtiger als für gewöhnliche Banken, denn ihre technischen Lösungen sind umso rentabler, je besser sie ausgelastet werden.

Einige Fintechs ziehen bereits öffentlich einen Umzug in Betracht. Ein prominentes Beispiel dafür ist Transferwise, ein Unternehmen, das Auslandsüberweisungen kostengünstig anbietet. "Wir werden unser Londoner Büro nicht schließen, aber womöglich das Team hier nicht weiter verstärken", sagte Mitgründer Taavet Hinrikus. Es sei möglich, dass man die Zentrale in eine andere Stadt verlege.

Auch mit Blick auf künftige Gründungen von Finanz-Start-ups gewinnen andere Standorte an Attraktivität: "Es ist völlig unklar, welche Auswirkungen der Brexit auf die Regulierung hat, ein solches Risiko kann man als Gründer kaum eingehen", so Barkow. Etwa 15 deutsche Gründerteams sind in London tätig - auch weil die Finanzaufsicht dort eine Bevorzugung für Fintechs versprochen hat. Diese Sogwirkung dürfte London verlieren.

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SZ vom 27.06.2016
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